Der Verzicht auf den Urheber

von Kusanowsky

Solange das Urheberrecht in seiner klassischen Form aktiviert ist, geht es um vermeintliche Schöpfer und um die Fragen wie „Wer hat Recht?“, „Was ist gemeint?“, „Was war ursprünglich gemeint?“ oder „Wer hat die Wahrheit formuliert und darf unter welchen Umständen wie zitiert werden?“. Das personalisiert den Selektionsprozess, impliziert z.B. Wahrheit als fertig vorfindbar, zieht die Aufmerksamkeit vom Produktionsprozess der Kommunikation ab und richtet sie auf vermeintlich vorzufindende Resultate, die so eben Personen zugeschrieben wurden und so, kontingenzabschneidend individualisiert werden. Ein Aufheben des Urheberrechts würde nun nicht die Leistung der an Kommunikation beteiligten schmälern. Es würde aber die Aufmerksamkeit auf den Prozess der Anschlussselektion eines jeden Textes richten und sie weniger auf einen verklärenden Mythos eines vergangenen gottgleichen Schöpfungsaktes einzelner fokussieren. Es wäre nicht mehr die Frage vordergründig: „Ist nun in dem oder in dem anderen Autorentext die Wahrheit zu finden?“, sondern „Welchen Text kann ich mit welchen Konsequenzen an den gerade gelesenen anschließen?“. In dem Maße in dem die Aufmerksamkeit von einzelnen Personen abgezogen würde, könnte der Prozess der Kommunikation, des aufeinander Reagierens der Texte in den Vordergrund rücken, weil die Erwartung schwinden könnte Texte als abgeschlossene wahrheitsverkündende Dokumente zu erleben, denn dafür ist Wirklichkeit einfach zu komplex. Und so würden isolierte, vereinzelte Prozessresultate an Orientierungswert für den Einzelnen verlieren. Das ist in der Wissenschaft ja praktisch heute schon so. Deswegen ist es in der Wissenschaft heute schon so wichtig richtig zu zitieren. Nicht weil ein Autor ökonomische Nachteile zu befürchten hätte – das wäre kein Problem der Wissenschaft  – sondern um einen Prozess des aufeinander Reagieren von Texten nachvollziehbar zu halten und aus einer Sequenz, aus den assoziierbaren Anschlussselektivitäten Möglichkeiten eines wissenschaftlichen Mehrwerts ziehen zu können. Es wäre sogar die Notwendigkeit einer „Freiheit der Wissenschaft“ darauf zurückführen, dass die Wissenschaft geradezu dadurch definiert ist, nicht fertige Prozessresultate, von Personen abgesondert, in Form von Wahrheiten einfach isoliert vorzufinden, sondern, gegenwärtige „wissenschaftliche Wahrheit“ als nächst zu überwindende, aber momentan noch nicht überspringbare Hürde, die sich an einer der Beobachtung des Prozesses als Prozess mit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft orientiert, also als ein zeitlich relativer Prozess, bei dem es nicht auf einzelne noch so geniale Beiträge ankommt, sondern darauf wie Beiträge sich in die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft anderer Texte für einen Beobachter integrieren lassen. Man schreibt für einen Leser in der Zukunft, der etwas schreibt für einen Leser in der Zukunft.

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