Niklas Luhmann – das letzte faustische Genie Deutschlands
von Kusanowsky
Im Jahre 1984 wurde die Studie „Homo Academicus“ des französischen Soziologen Pierre Bourdieu veröffentlicht. Diese Studie war der zu diesem Zeitpunkt längst überfällige Versuch, die Soziologie und die Wissenschaft allgemein auf ihre Fähigkeit zur Selbstbeobachtung selbstreferenziell zu testen. Ich betone: die Überfälligkeit scheint mir das Bemerkenswerte, nicht der Versuch, weil Versuche zur Beobachtung der Systemreferenz durch das System selbst für moderne Funktionssysteme schon vorher erprobt und nach erfolgreichem Durchlauf als Thema wie jedes andere behandelt wurden. Wichtig ist, dass diese Behandlung anschließend leichter fällt, wenn gleichsam der Härtestest der Selbstreferenz zuvor bestanden wurde. Dies gilt gewiss für die Kunst, aber auch für die Politik könnte man vermuten, dass der moderne Personenkult des Faschismus und Bolschewismus einen vergleichbaren Versuch zur Erprobung von Selbstreferenz darstellte. Für die Wirtschaft dürfte man solche Belastungsversuche der Selbstreferenz an dem Börsengeschehen verfolgen können.
Motiviert werden solche Versuche durch ständig anfallende Irritationen, die aus Beobachtungsdefiziten resultieren, wenn eine Leitdifferenz zur Dirigierung von Anschlussfindung die Kommunikabilität der Welt, die ein System versteht, so weit ausdehnen kann, dass eine Reduktion dieser Komplexität schließlich noch durch die Beobachtung des systemeigenen Beobachtungsschemas selbstreferenziell durchgeführt werden muss, um die Leitdifferenz auf ihre vielleicht letzte haltbare Möglichkeit zu testen. Wenn diese Überlegung stimmen sollte, so heißt das, dass sich ein System anschließend in all seinen Möglichkeiten entfaltet hat und dann in Trivialität zerfällt. Diese Trivialität würde sich dadurch auszeichnen, dass ein System schnell und einfach neue Kombinationen erfindet und durch Verbreitung seine Grenzziehung zugleich irritativ und routiniert behandelt.
Insofern wäre Demokratie nur das Ergebnis einer Trivialsierung des politischen Systems, das den Flaschenhals der autoritären Macht gemeistert hat. Ein solcher Flaschenhals dürfte auch in der Kunst bewältigt worden sein, indem sie, sobald sie auch noch die Banalität des Künstlersubjekts ästhetisiert hatte, so etwas wie „Jeder Mensch ist ein Künstler“ als Parole ausgeben konnte. Solche Trivialisierungsphänome dürften auch in der Wirtschaft bemerkbar sein (z.B als „Ich-AG„, ein Phänomen, das sich nicht nur ökomisch, sondern konsequenterweise auch semantisch aufdrängt). Und folgerichtig auch in der Wissenschaft. So ist es dann kein Wunder, dass erst der Ausbau der Massenuniversität diese Bourdieusche Studie wahrscheinlich machte. Die Massenuniversität hat den Habitus des faustischen Genies trivialisiert.
Das herausstechende Merkmal des faustischen Genies besteht darin, als Alleskönner und Weltversteher seine Leistungsfähigkeit gerade dadurch zu steigern, dass es eine Beschränkung seiner Verstandesfähigkeit als Ausgangsposition nimmt. Das faustische Subjekt ist dasjenige, das seine, ehedem bei Feuerbach als Urgrund aller Religiösität verstandenen Selbstentzweiung unter methodische Kontrolle zu bringen vermag, in dem es Wissen auf seine Entfaltungswirkung für weiteres Nichtwissen überprüft und damit das Ungenügende aller Forschungsarbeit als dasjenige erkennt, das ein Genügen als wissenschaftliches Leistungskriterium etabliert. Der faustische Gelehrte hat erst dann genügend geleistet, wenn für andere ein Erlebnishorizont aufgespannt wird, der auf genügend Ungenügendes verweist, das als Lehre genommen zu einem Anschlussstudium ermutigt. Der faustische Gelehrte wäre damit der Manager eines sozial gegerelten Selbstwiderspruchs, in welchen er einerseits mit seiner ganzen Subjektivität verstrickt ist, aber diesen andererseits nur partiell für soziale Beobachtung bereit stellt. Eine andere Hälfte verbleibt privat. So kommt es, dass das faustische Genie privat studiert und öffentlich lehrt, wodurch die Verknüpfungswege von Sinnkombinationen durch ein alchemistisches Verfahren der halbseitigen Blockierung der sozialen Anschlussfähigkeit intransparent werden. Zurück bleibt ein Geheimnis als Charaktermerkmal des Genies, ein Mysterim der Könnerschaft, das umso größer wird, je intensiver und differenzierter es durch das selbe alchemistische Verfahren behandelt wird.
Man kann das sehr deutlich an den Vorschriften zur Abfassung einer Doktorarbeit ablesen: der Kandidat darf nichts von dem, was er zur Prüfung übergibt, vorher schon veröffentlicht haben. Es muss geheim bleiben, privat, undurchsichtig, unbekannt, weil andernfalls das wissenschaftliche Prüfverfahren seine Irritationsfähigkeit verlieren würde. Eben dieses Prinzip der vorhergehenden Verheimlichung gilt als Vorschrift für alle wissenschaftliche Wissensproduktion; und sie funktioniert als Vorschrift auch dann, wenn der Wissenschaftler nach erfolgreichem Bestehen der Prüfung weitere Texte produziert, da alle Abläufe auf die Unterscheidung von privat und öffentlich eingerichtet sind, welche übrigens auch Anforderung an individuelle Zurechenbarkeit stellen. Nur die individuelle Zurechenbarkeit der Ergebnisse hat für den faustischen Habitus eine Attraktivität, weil nur damit die säkluare Selbstentzweiung des Subjekts auf Dauer gestellt werden kann. Es muss schließlich auch seine soziale Herkunft leugnen, um die Welt des Sozialen beschreibbar zu machen. Die soziale Welt ist dann eine Welt der Subjekte.
Dass sich dies trivalsiert und als Trivialform in der Wissenschaft etablieren kann, zeigt der Umgang mit dem Nachlass von Niklas Luhmann. Es stand zu befürchten, dass, nachdem in der Soziologie erkannt wurde, dass die Klassiker-Exegese nur begrenzt weiter führt, man konsequenterweise dazu übergehen muss, das Werkzeug dieser Alchemie – die Verwandlung privater Unordung in sozialer Anschlussfindung – dem selben philologischen Verfahren zu unterziehen. Da aus Luhmanns Schriften hervor geht, dass man nicht wissen kann, was der Autor meint, unterzieht man nun den Zettelkasten philologischer Analyseverfahren, um herauszufinden, was man doch nicht wissen kann, aber offensichtlich immer noch wissen will: die Einsicht in ein großes Geheimnis.
Frage: Also Sie sind auf der Suche nach dem System im Zettelkasten des Systemtheoretikers. – Was erhoffen Sie denn eigentlich, da zu finden?
Antwort: Was man sicher finden wird, ist eine Erkenntnis darüber, wie Luhmann eigentlich wirklich gearbeitet und gedacht hat.“ (Herkunft)
Es lebe das faustische Genie.
Nicht viel anders fällt dieser Beitrag des WDR-Fernsehens vom 18. Februar 2011 aus. Auch hier wird noch einmal das Geheimnis des faustischen Genies revitalisiert. Man beachte vor allem, wie in der Berichterstattung sich die Aura des Denkmals entfaltet. Der Einwand, all dies sei ja nur Gesprächsfutter für Massenmedien, die solche Unterscheidung benutzen, da sie der wissenschaftlichen Komplexität dieser Zusammehänge durch ihren Quantifizierungscode nicht gewachsen wären, trifft nur auf die in der Systemtheorie selbst trival gewordene Unterscheidung von System und Umwelt, in der schon eingeschlossen ist, was ein solcher Einwand ausschließen will: dass die Komplexität von anderen genauso gut verstanden werden kann. Dies zeigt sich insbesondere am letzten Satz dieses Fernsehrbeitrags, der lautet:
Luhmanns Schatzkiste wird als Möbel erhalten bleiben. Ihr kostbarer
Inhalt wird, wenn alles fertig ist, auf einen kleinen USB-Stick passen.
So wird das Geheimnis des Genies nicht gelüftet, sondern digitalisiert. Man beachte die Lakonie dieses letzten Satzes.
Wer weiß, vielleicht werden diese Zettel, wenn sie erst einmal digialisiert sind, durch ein geeignetes Mash-Up-Verfahren sortierbar. Dann kann jeder Student ab dem 4. Semester sein eigenes Luhmann-Buch schreiben. Jedenfalls wird es noch etwas dauern, bis man erkennen kann, wie die inflationäre Textproduktion von Luhamnn zustande kam. Bislang wird sie noch als Leistung des faustischen Gelehrten apostrophiert. Erst die Digitalisierung wird vielleicht deutlich machen, dass sie verdächtig ist.
Leider blitzt in meinem an Luhmanntexten geschulten (oder verwirrten?) Vorstellungsvermögen nicht die zustimmende Einsicht auf, ein Viersemestersoziologiestudent könne, wenn erst der Zettelkasten des Meisters digitalisiert wäre, mühelos eines der noch ungeschriebenen Luhmannbücher selber schreiben. Denn diese These – @Kusanowsky – übersieht (oder unterschlägt?) doch offensichtlich etwas: Auch die präziseste und perfekteste Verlinkung aller Aussagen des Zettellkasten dieses Denkteufels kann ja eines nicht: die mit dem Absterben des Luhmannischen Gehirns dahingegangenen individuellen Luhmanngehirnlinks nachzuvollziehen. So wird wohl doch auch die genialste Trivialisierung der internen Komplexität des Kastens das Denkgeheimnis seiner Verknüpfungsabenteuer nicht tatsächlich lüften: Das Genie Luhmann ist – wie jede Individualität – nicht entschlüsselbar. Es bleibt denn doch die Einsicht des Heinz von Foerster: Über den Sinn eines Satzes entscheidet der Hörer/Leser. Folgerung: Über den Sinn des Luhmann’schen Zettelkastens, (wenn er denn einen enthält), hat bereits Luhmann selber zu seiner Zeit entschieden in einer Weise, die niemand von den Folgenden Linksüchtigen wird jemals nachvollziehen können.
Wie entsteht denn das Genie? Der Geniebegriff ist entstanden durch die methodische Abdrängung des Sozialen. Das Genie kann sozial nur beobachtbar werden, wenn das Subjekt die Behandlung seines Selbstwiderspruchs aufteilen kann in eine Sphäre des Privaten und Geheimen einerseits; eine Sphäre, die sozial unzugänglich bleiben muss, damit für die soziale Urteilsbildung der Einseitencharakter dieses Widerspruchs übrig bleibt. etwa in der Weise, dass es dem Wissenschaftler erlaubt ist, die Unwissenschaftlichkeit der anderen nachzuweisen, aber selbst darf er – andererseits – nichts Unwissenschaftliches herstellen, das öffentlich angeliefert und sozial zugänglich ist. Die Abarbeitung an der ganzen Komplexität ist also Privatsache, unzugänglich, eine terra incognita und dies als Vorschrift: Publiziere erst, wenn alles fertig ist! Das ganze unfertige, ungeordnete, irre Zeug, das man beim studieren aussortiert, hat in der Öffentlichkeit der Wissenschaft nichts zu suchen. Und was passiert, nachdem das Subjekt durch seinen Tod aus der Verfügung über den Unterschied von öffentlich und privat entlassen wurde? Man findet diese terra incognita, den Nachlass als Geheimnis vor, das jetzt der Enträtselung übergeben wird, bei gleichzeitigem Fortbetrieb dieser Alchemistenküche, die zuerst das Geheimnis als Vorschrift festlegte und es dann noch einmal als Überraschung erlebt. Wundebar! Es kann sich also nur um ein Genie handeln, nicht um soziale Realität. Und wenn man dies dann doch herausfindet, dann wird in der Alchemistenküche nur ein weiterer Topf aus dem Schrank geholt. Und die Routine bleibt stabil.
@Kusanowsky – also gut so; und sofort flüstert es in mir: es habe doch dieser undurchschaubare Luhmann selber gesagt, das (Hin)Geschriebene sei allemal das (zuvor) Gedachte schon nicht mehr. Die Gesellschaft, als die evolutionär in Erscheinung tretende „Summe“ aller Kommunikationen, („hier zählt ein jeder Fluch der Ruderer in den Galeeren“), diese Gesellschaft, die als Selbstperformation der Kommunikation „weiss“, dass sie nicht denken kann, sie könnte man als Kollektivbewusstsein auffassen, dass sich seiner Unbewusstheit bewusst ist: sie weiss, dass sie nicht (weiter) weiss.
Alles Gewusste steckt somit im Gesagten/Geschriebenen. Alles noch mögliche Wissen steckt allein in der Sprache, soweit sie noch nicht gesprochen wurde. Alles läuft also hinaus auf die oder eine sich entfaltende Plausibilisierung innerhalb einer selbstgesetzten besonders sprachfähigen Elite, die willentlich (inkludierend/exkludierend) für Anschlussfähigkeit sorgt, (auch mit rigorosen Mitteln wie Totschweigen oder semantisch-rhetorisch diffamierend).
Bleibt die Frage: Welche gedanklichen Assoziationen in welchem Gehirn schaffen es, durch geeignete sprachlich fixierte Irritationen der gesamtgesellschaftlichen Kommunikation, NEUES zu setzen, dem andere durch entsprechende Anschlüsse zu folgen bereit sind. Dem kecken Satz, als Behauptung Feyerabends: anything goes, ist Luhmann entgegen getreten mit seinem Satz: „es geht nur, was geht“. Die Erklärung aber, warum etwas geht, wenn es dann gegangen ist, weil es gegangen ist, ist auch er uns schuldig geblieben.
So bleibt nach wie vor das sich wundern über die Frage, warum Gesellschaft als das allerhöchst Unwahrscheinliche im funktionieren der Funktionalität dennoch immer wieder sich selbst ermöglicht. Da rückt das Spotlight der gesellschaftlichen Selbstbeobachtung sofort seinen Focus auf „Macht“ oder auf „Geld“ und alles zuckt zusammen: wo liegt denn nun der Fehler? Die Theorie der Codes, der symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien, hat vielleicht doch ihre intrinsische Hierarchisierung verpasst oder vermieden, was offensichtlich ein Fehler war: Das sich alleinstellende Medium „Geld“ steht an der Spitze dieser als eine angebliche Heterarchie der Gleichgesetzten dipolaren Codes und entlarvt das Heterarche als das am schlechten Ende doch Hierarche und folglich diktatorisch Bestimmende, dem keiner ausweichen kann als der Unterworfene.
Frau Enkelmann mag es heimlich oder faustische Genies live and today
Karl-Heinz Ladeur, Prof. emeritus der Rechtswissenschaft, wollte sich die Doktorarbeit von Dagmar Enkelmann, der inoffiziellen “Miss Bundestag”, einmal ansehen und schrieb der Ersten Parlamentarischen Geschäftsführerin der Linkspartei eine email:
Sehr geehrte Frau Dr. Enkelmann,
Ihre interessante Doktorarbeit ist leider sehr schwer zugänglich. Könnten Sie sie nicht einfach ins Netz (oder auf Ihre Seite) stellen, damit die Öffentlichkeit einmal sieht, was ein redlich verdienter Doktortitel ist?
Mit freundlichen Grüßen
Karl-Heinz Ladeur
http://pulsene.ws/13FI5
Nach diesem kleinen Spaß über die supergeheimen faustischen Genies der ehemaligen DDR nun jedoch zum ihrem nicht explizit formulierten Thema der gerade nicht hintergehbaren Fragmentierung von Individualität sowie der Diversität und Heterogenität ihres kulturellen Erbes.Gesellschaften stellen ’nicht auf Identität, sondern auf strukturelle Varietät ab‘ und stehen immer stärker vor den Problemen der Komplexitätsreduktion.
Institutionen werden geschwächt durch die Steigerung von Subjektivität, gebremst durch den Zwang zur Anschlußbildung in der Unterbrechung der unmittelbaren Beobachtung der Welt durch die Institutionen und das in ihnen quasi geronnene, aber prozesshafte Alltagswissen.
Und trotzdem endet Ladeurs sprachtheoretisch erweiterter Luhmann in der Forderung nach einer sozialen Epistomologie der Demokratie.
‚Seid komplex! Erzeugt mehr Varietät! Das wären die moralischen Imperative der Systemtheorie‘
Vortragsmanuskript ohne Verweise: http://www.philosophische-gesellschaft-bremerhaven.de/dokumente/2011/ladeur/Komplexitaet.pdf
Ich hoffe inständig, dass der ein oder andere Luhmannianer sich durch diesen Text provoziert fühlt und sich zu der ein oder anderen schriftlichen Antwort hinreißen lässt. Darüber hinaus richte ich in diesem Zusammenhang mal die Frage an einen Luhmannianer, wieviele dieser Beobachtungsebenen denn nun zu einer profunden Beobachtung soziologischer Systeme hinreichend sind und auf welchen Ebenen sich sowas wie Relevanz im Sinne einer wissenschaftlichen Verwertbarkeit ereignet?
LG, Nick
Das ist eine Fangfrage, die du allerdings keinem Professor für wisenschaftliche Systemtheorie stellen kannst, weil ein solcher Professor keine Prüfung mehr im Sinne von bestehen/nicht-bestehen absolvieren muss. Er würde immer ausweichen und nach eigenem Gusto das Gespräch beenden. Das ist eine Frage, die ein solcher Professor nur einem Kandidaten stellen kann, der bei der Prüfung auch durchfallen könnte. Das Blöde ist, dass die Gültigkeit einer Prüfungsentscheidung einzig durch Inanspruchnahme der staatlichen Exekutivgewalt durchgesetzt wird, denn nur durch Exekution der Entscheidung kann die Kommunikation unterbrochen und Zurechnungen auf individuelle Ergebnisse vorgenommen werden. Eine „wissenschaftliche Systemtheorie“ funktioniert also nur, wenn die Staatsgewalt funktioniert, andernfalls müsste, da eine Mehrebenenbetrachtung ja immer möglich und zulässig ist, die Kommunikation erst an der Erschöpfungsgrenze der Körper ihr Ende finden. Leider kann man Luhmannianern nicht plaubsibel machen, dass die Systemtheorie erst dann wieder an wissenschaftlicher Relevanz gewinnen würde, wenn man sie auch als nichtwissenschaftliche Theorie akzeptieren könnte. Denn nach Luhmann ist die Leitdifferenz der Wissenschaft „wissenschaftlich/nicht-wissenschaftlich“, entsprechend produziert die Wissenschaft auch immer nichtwissenschaftliche Theorien, was eben auch für die Systemtheorie gelten müsste. Insofern täte man der Systemtheorie gar kein Unrecht, wenn sie auch als nichtwissenschaftliche Theorie akzeptiert würde, was im Prinzip für die Theoriebildung kein Problem wäre; allein die Wissenschaftsbürokratie macht da nicht mit. Diese Art der Systemtheorie muss daher, um an den Universitäten diskutierbar zu sein, notwendig nur als wissenschaftlich angesehen werden, und dafür braucht man immer die Staatsgewalt. Dass man aber theoretisch komplexer argumentieren könnte, wenn man zur Findung besserer wissenschaftlicher Hypothesen auch ihre Nichtwissenschaftlichkeit berücksichtigen würde, lässt sich mit keinem Argument dieser Welt plausibel machen. An Karriereinteressen findet jede Kontingenzbereitschaft ihr definitives Ende.
Solange es die Idee des Autors gibt, die ihrerseits mit Karrieren verknüpft ist, die ihrerseits als „Preisschild“ der Organisationen und der hieran anschließenden Netzwerke fungiert, die ihrerseits mit Zitationen der Autoren ihre opertive Geschlossenhiet reproduzieren, die hierdurch identifizierbare „Schulen“ und Paradigmen im „Feld“ der akademischen Diskussion abstecken – solange das alles so läuft wird sich an der Produktion-Reproduktion tatsächlich wenig ändern, egal ob Systemtheorie oder irgendeine andere Theorie: die institutionellen Bedingungen sind nur schwer transzendierbar. Und es gibt große Probleme, sich selbst innerhalb dieser Kontexte zu beobachten und weiter zu machen, denn: eine Thematisierung der Paradoxien führt sofort zum Ausnahmefall des Schreibens über das System und weniger über das Thema, an das man ursprünglich dachte; nur wenige Genies beherrschen den Ausnahmefall in Organisationen…da ist schon viel Autorität nötig, um diese Mechanismen weiterhin zu reproduzieren und vor allem um die Zweifler draußen zu halten. Vgl. auch Richard Münch, 2011: Akademischer Kapitalismus“. Suhrkamp. Interessant an Münch ist, dass er genau die beiden in Deinem Blogeintrag, Klaus, angesprochenen Perspektiven im Wechselspiel ausprobiert hat: Elitentheorie im Anschluss an Bourdieu und – früher – Systemtheorie nach Luhmann und insbesondere Parsons. Man merkt das hin- und heroszillieren seiner Zurechnungsperspektive…er sagt „ja, es gibt Systeme“ aber er sagt auch „handeln tun immer vernetzte Akteure“.
..und kurze Zeit später dann dieser Blogeintrag aus der systemischen Innenperspektive: http://soziologie.de/blog/?p=128
@Thorsten Kogge „solange das alles so läuft wird sich an der Produktion-Reproduktion tatsächlich wenig ändern“ – das würde ich auch so sehen. Aber für Plausibilisierungsversuche der Systemtheorie dürfte dann gelten, dass sie nur solange funktionieren kann, wie sie es mit Subjekten und Urhebern zu tun hat, deren theoretische Erklärungskraft sie negiert. Das gilt dann allgemein für eine Ontologie der Systemtherorie. Sie braucht eine Ontologie um sowohl sich selbst als auch ihre Gegenstände anders beschreiben zu können. Eine Umwelt der Soziologie dürfte entsprechend von Differenzen der Systemtheorie nicht beeinflusst werden dürften, damit diese Systemtheorie fortsetzbar ist. Sie muss also ihrer Umwelt Unkenntnis, Uninformiertheit unterstellen, um anders informieren zu können. Und das heißt: sie kann über einen entsprechenden Irrtum nicht belehrbar sein, was – wie gesagt – schon allein deshalb geht, dass dies ganz leicht mit bürokratischen Vorgaben vereinbar ist. Eine Systemtheorie kann ein „Vielleicht“ als theoretische Größe akzeptieren, aber die Wissenschaftsbürokratie nicht. Vielleicht bestanden, vielleicht befördert gibt es da nicht.
„Dieser Name „Genie“ – es ist allzu bekannt – stört (gêne). Gewiß (Certes). Seit langem. Oft vermutet man darunter zurecht eine obskurantistische Abdankung gegenüber den Genen, ein Zugeständnis an die Genetik des ingenium oder, schlimmer noch, an eine kreationistische Lehre vom Angeborenen, mit einem Wort, in der Sprache einer anderen Zeit, die zweifelhafte Komplizenschaft eines biologisierenden Naturalismus und einer Theologie der ekstatischen Inspiration. Einer unverantwortlichen, bis ans Rauschhafte fügsamen Inspiration einer diktierten Schrift.
Die Musen sind nue eit. Gesteht man dem Wort „Genie“ die geringste Legitimität zu, würde man eine Demission sämtlicher Wissensbestände, Erklärungen, Interpretationen, Lektüren, Entzifferungen unterzeichnen – insbesondere im Bereich dessen, was man schnell die Ästhetik der Künste und der Literatur nennt, von der man annimmt, daß sie kreativem Schaffen eher geneigt ist. Eine solche Demission wäre mystisch, mystikoid. Man würde dadurch eingestehen, in stiller Anbetung vor dem Unaussprechlichen dessen zu verharren, was in der geläufigen Bedeutung des Wortes „Genie“ häufig die Gabe der Geburt und das Geheimnis mit dem Opfer verbindet. Aber denuzieren wir nicht allzu übereilt jegliches Geheimnis. Wenn „mystisch“ im Griechischen stets an das Geheimnis appelliert, werden wir vielleicht eine andere Art und Weise brauchen, auf dieses Wort, mystisch, zu rekurrieren.“ (Jacques Derrida: Genesen, Geneologien, Genres und das Genie. Das Geheimnis des Archivs. Passagen 2006, S.11)
[…] dann kann es sein, dass der faustisch-geniale Habitus dieser Gelehrten als triviale Folklore einer vergangenen Zeit auffallen könnte, wohingegen die Internettrolle als zu exkludierende Spinner, Spaßvögel und […]
Die populäre Legende vom Magier Johann Faust wird 1587 in dem Buch „Historia von D. Johann Fausten“ literarisch fixiert und ausgestaltet. Diese Dichtung diffamiert einen damals offensichtlich schon erkennbaren Erkenntnisdrang jenseits religiöser Gebundenheit. Die die religiöse Ablehnung richtet sich gegen die Sehnsucht, das begrenzte Feld menschlicher Erkenntnis dem Absoluten zu öffnen, weil dies Verzweiflung und Wahnsinn münden würde. So verführten intellektuelle Ungenügsamkeit und der Verlust transzendenten Vertrauens schließlich zum Dämonischen. In drastischen Schilderungen wird das zügellose, sünd- und schuldhafte Leben und das grässliche Ende von D. Johann Fausten eines gottlosen Frevlers beschreiben: Faust erscheint darin als besonders intelligent mit „gelernigen vnd geschwinden Kopffs“, gleichzeitig wird er aber als hochmütig charakterisiert – „vnsinnigen vnnd hoffertigen Kopff“; Faust studiert zunächst Theologie, dann aber widmet er sich der Zauberei und den Wissenschaften „wolte sich hernacher keinen Theologum mehr nennen lassen / ward ein Weltmensch“; schließlich aber „stunde D. Fausti Datum [Absicht] dahin / das zulieben / das nicht zu lieben war / dem trachtet er Tag vnd Nacht nach / name an sich Adlers Fl[ue]gel / wolte alle Gr[ue]nd am Himmel vnd Erden erforschen / dann sein F[ue]rwitz [Neugier; Anmaßung] / Freyheit vnd Leichtfertigkeit stache vnnd reitzte jhn“ – die Restriktionen der religiösen Ordnung werden hier übertreten, gleichzeitig kommt die Sehnsucht zum Ausdruck, das Absolute zu ergreifen; als Gründe für Fausts Abfall von Gott führt das Volksbuch „Hochmuth / Verzweifflung / Verwegung vnd Vermessenheit“ an; die Atmosphäre von Verderbnis und Verdammnis unterstreicht besonders der Schluss der Historia, wenn Faustus vom Teufel zerrissen wird.
Dazu auch: Stephan Füssel/H. J. Kreutzer (Hrsg.): Historia von D. Johann Fausten; 2003.
„gelernigen vnd geschwinden Kopffs“ … „vnsinnigen vnnd hoffertigen Kopff“
Möglicherweise ist die Überlegung gar nicht so abwegig, dass diese Geringschätzung der Faust-Figur, welche ja eigentlich eine Reaktion auf eine sich ändernde zivilistorische Diszplin war, nach den gleichen kritischen Betrachtungsweisen vorgenommen wurde, welche durch diese Darstellung des Angstbildes disqualifiziert werden sollten, dass also auch die Bekämpfer, Verhinderer des Neuen und Bewahrer einer altgewordnenen zivilisatorischen Verlässlichkeit schon die gleiche Selbstermächtigung gezeigt hatten, mit der auch dieser Doktor Faust auffällig geworden war. Auch dieses Faustbuch, das vor den Gefahren einer Selbstermächtigung warnte, war ebenfalls schon selbst ermächtigt, zeigte nicht nur selbst schon kritische Widerständigkeit, wenngleich diese sich zur Rettung eines göttlichen Wahrheitsanspruchs andiente. So zeigte doch wenigstens schon diese Art der Volkspädagogik, dass mit den Mitteln der schriftgestützen Propaganda, also nicht etwa durch Verbreitung von Bildern und Predigten in Kirchen, ein lesefähiges Publikum erreicht werden konnte, das sich – wie man berechtigterweise vermuten kann – nicht nur von dieser Faustgestalt und ihrem Treiben abschrecken ließ, sondern auch schon von diesem Abschreckungsversuch nicht mehr zu überzeugen war, weshalb auch aus diesem Grunde das Buch Verbreitung fand.
Wie dem auch sei, jedenfalls scheint diese Faustgestalt durchaus eine Symbolfigur für eine paradigmatische Wende einer Zivilisation zu sein, durch welche, wenn auch noch sehr undifferenziert, das transzendentale Subjekt seine Selbstsanktionierungregeln entwickelte, welche, damit sie überhaupt attraktiv werden konnte, etwas sehr Obszönes wagen musste: sich mit dem Teufel einzulassen, um auch noch dessen Natur ergründen zu können. Wohl aus diesem Grunde hatte die moderne Naturwissenschaft gelernt, alle Magie und Teufeleien aus ihren Programmen zu löschen, und zwar weil man sich darauf eingelassen hat und feststellen konnte, womit man es zu tun bekommt: mit etwas, das man beherrschen könnte.
Wohingegen die Befürchtung, dass dieser gottlose Hochmut des Doktor Faustus in den Wahnsinn führen würde, rückblickend betrachtet so abwegig gar nicht ist, jedenfalls spricht der Begriff der „promethischen Scham“ bei Günther Anders deutlich davon, dass der Wissenschaftshoffnung, auch eine berechtigte Wissenschaftsfurcht, übrigens nach Maßgabe der gleichen kritischen Charakteristik, an die Seite gestellt werden muss.
Günther Anders Anthropologie ist eigentlich eine negative Anthropologie, die schon auf eine Differenzbestimmung des Menschen zum Tierreich verzichtet und stattdessen eine Differenz zu seinen Artefakten einführt. Diese Differenz sei entscheidend dafür, dass die Artefakte dem Menschen überlegen scheinen. Das nannte Günther Anders „promethische Scham“: „Wir sind invertierte Utopisten: während Utopisten dasjenige, was sie sich vorstellen, nicht herstellen können, können wir uns dasjenige, was wir herstellen, nicht vorstellen.“ Das könnte allgemeiner formuliert auch auf den Gedanken führen, dass alle Anthroplogie eigentlich durch eine Abbreviatur ihrer selbst gekennzeichnet ist. Z.B: Der Mensch sei ontogenetisch wie philogenetisch eine verfrühte biologische Geburt (Neotenie), die eine zweite, soziale Geburt notwendig mache. Bloch gebraucht „Tier“ beispielsweise doppeldeutig als animal und bestia, wenn er vom Menschen als „Umwege machendes Tier“ spricht, sei es, dass er den Menschen vom Tier abhebt, wenn er davon spricht, dass „Tiere das erprobte Fabrikmuster ihres Leibs und Leben notwendig“ wiederholen. In Anspielung auf Schopenhauers Rede von der Fabrikware Mensch, spricht Bloch allerdings auch vom Menschen als Dutzendware, allerdings als eine, die selber geschichtlich ist. Gemeint ist der Mensch in der seit dem 19. Jahrhundert entstandenen Massengesellschaft, bei Günther Anders als Massenmensch bestimmt. Damit ist eine Differenz zwischen Bloch und Anders so groß nicht, wenn es etwa bei Bloch heißt, dass der Mensch – im Gegensatz zum Tier, das seine angestammte Umwelt hat, Fehler macht, die einem Tier nicht unterlaufen können – eine Möglichkeit, die dem faustischen Genie immer schon vor Augen stand.
Will man immer noch auf eine Anthropologie setzen, so muss man sie notwendig als Abbreviatur anlegen, als immer schon verkürzte Beschreibung dessen, was immer auch anders und niemals ausführlich genug beschrieben werden könnte, was sich schon zeigt, wenn man mit „der Mensch ist …“ beginnt. Das kann nichts mehr werden.
„ ‚Persönlichkeit‘ auf wissenschaftlichem Gebiet hat nur der, der rein der Sache dient“, schreibt Max Weber, Morettis Idol, und dies reproduziert kaum verschleiert eine religiöse Bindung in die Wissenschaft, die hiermit die Sache zum Gottesersatz erhebt. Die Identität der Wissenschaftlerpersönlichkeit ergibt sich allein aus dem Dienst am Objekt. Mit Aufklärung hat die sich daraus leider bis heute oft ableitende Empiriefrömmelei jedoch wenig zu tun. Ein Dogma kämpft hier nur gegen das andere und für wirklich Intellektuelle war dieses Preisboxen um die Wahrheit noch nie ein besonders attraktives Spektakel, zumal sie meist nur von den billigen Plätzen zusehen durften. Nun wäre eine post-sachliche, also konsequent entdogmatisierte Wissenschaft nicht mehr Wissenschaft wie wir sie kennen, schätzen und als sinnvoll erachten. Sondern vielleicht systematisierte Intellektualität. Oder eben das, was man im besten Sinne meinte, als man Humanities eben nicht als Sciences konzipierte.
[…] Kusanowsky, Niklas Luhmann – das letzte faustische Genie Deutschlands, https://differentia.wordpress.com/2011/10/02/niklas-luhmann-das-letzte-faustische-genie-deutschlands…, gesehen am […]
Ich hab‘ hier gestern eine Liste mit faustischen Genies gefunden:
http://www.eoht.info/page/top+500+geniuses
(Nach IQ sortiert… Vielleicht hilft das weiter…) [?]
Diesen Vortrag über Luhmann’s Zettelkasten hab‘ ich neulich erst entdeckt:
Johannes Schmidt spricht unter anderem über „…Sammelverweise… #Datenbankpflege… Das große Geheimnis ist jetzt: Wie wusste er, daß es diesen Zettel hier gibt, der für diese neuen Zettel, die er gerade hier erstellt, eigentlich relevant ist?… #Mysterium…“
#Luhmann’s Gedächtnis (sein „Konnektom“?) ist sozusagen die Metadatenbank die für den #Zettelkasten äußerst relevant gewesen sein muss.