Tricksen, täuschen, stören: Betrachtungen zur Internetkommunikation 2
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Die These, dass durch das Internet Interaktion zwischen Abwesenden hervorgerufen wird, dürfte in der systemtheoretisch ausgerichteten Soziologie, die sich vornehmlich auf die Schriften von Niklas Luhmann stützt, mit Vorbehalt betrachtet werden. Bei Niklas Luhmann ist Interaktion Kommunikation unter Anwesenden, und sobald sich Schulen bilden, die Unterscheidungen ordnen und einüben, ist es normal, dass sich Unterscheidungsgewohnheiten einspielen, die das, was immer schon so behandelt wurde, nicht anders behandeln und nur sehr schwer auf veränderte Bedingungen reagieren können. Aber schon der Titel Des Buches „Kommunikation unter Anwesenden“ von André Kieserling macht auf den Unterschied von Anwesenheit und Abwesenheit aufmerksam, der nicht einfach normal oder gegeben ist, sondern durch die Kommunikation selbst ermittelt werden muss, und dann auch modifiziert werden kann. Wer anwesend oder wer abwesend ist, ist damit weder eine Frage der subjektiven Meinung noch die eines objektiven Sachverhalts, sondern eine Frage von Routinen, durch die eben solche Realtitäsgewissheiten produziert werden, über die subjektive Meinungen geäußert und objektive Sacherverhalte festgestellt werden können. Das gilt auch für den Unterscheid von Anwesenheit und Abwesenheit, der hauptsächlich durch die Dokumentform seine Plausiblität erhält.
Die Popularisierung von Druckerzeugnissen aller Art ermöglichte eine Verständigung über Texte oder Bilder, welche die im Raum verteilten Körper der Rezipienten erreichen müssen, wodurch jedes Exemplar als Kopie des selben „Dings“ in Erscheinung tritt. Wird diese Situation zum Normalfall aller Kommunikation, so wird der, dieser kommunikativen Situation vorausgehende Normalfall – die gleichzeitige Anwesenheit – zum Sonderfall. Und sofern aus der so bezeichneten interaktiven Situation Theorien abgeleitet werden, die durch Buchdruck wiederum ihre Plausibilität erhalten, so wird einer solchen Interaktionssituation auch dasjenige Beobachtungsschema übergestülpt, das sich aus der Rezeption von Texten ergibt. Auch das mündliche, ja vertrauliche Gespräch unter vier Augen bekommt dokumentarischen Charakter, weil im Prinzip alles, was gesagt wird, den Konsistenzprüfungsroutinen von Aufzeichnungsverfahren unterzogen werden kann. Der Körper der Anwesenden wird damit selbst zum Dokument. (Weiter mit: Die Abwesenheit des Körpers oder: Interaktion als Kommunikation zwischen absentierenden Beobachtern)
So wundert es dann auch nicht, dass Soziologen Habitusforschung bertreiben können, weil sich in und an den Menschenkörpern die Differenzen einschreiben, die als Auswertungsresultate des Dokumentschemas durch die Wissenschaft (aber natürlich auch durch die Konsum- und Trendforschung) abgefragt werden. Es nur eine Frage der Zeit bis Differenzen, die woanders hinterlassen wurden, woanders wiedergefunden werden, ohne, dass man genau ermitteln kann, wie dieses Stille-Post-Verfahren sich organisiert hatte; jedenfalls finden sich genügend Anlässe für die Fortsetzung des wissenschaftlichen Rätselratens und der empirischen Forschung.
Die Internetkommunikation streicht solche Gewohnheiten durch und erarbeitet sich andere. In bezug auf den Unterschied von Anwesenheit und Abwesenheit lässt nämlich Internetkommunikation Anwesenheit und Abwesenheit gleichzeitig zu. Als Vergleichsbeispiel nehme man eine Unterrichtssituation in der Schule: es handelt sich um eine Versammlung von Menschenkörpern, in der sich jeder Anwesende über die Anwesenheit aller anderen vergewissern und auschließen kann, dass Abwesende anschlussfähige Beiträge in die Kommunikaiton einbringen. Es gibt dabei nur den Ausnahemfall, dass eine Ansage des Direktors in jeden Kassenraum durchgestellt wird. Aber erreichbar ist der Direktor auf dem selben Wege nicht. Nun sind es nur die allseits anerkannten Gewaltverhältnisse, die garantieren, dass diese Ansage nicht als Störkommunikation anschlussfähig ist, wohingegen der Klassenclown jederzeit sanktioniert werden darf. Aber alle Sanktionierung des Klassenclowns findet ihre Grenze an der Physik und Biologie des Körpers: der Lehrer kann ihn prügeln, beschimpfen, ermahnen, entmutigen oder aussperren und der Klassenclown kann sich diesen Sanktionen nicht entziehen. Dabei kommt es nicht darauf an, dass die Sanktionierung nur vom Lehrer vorgenommen wird, auch die Schüler untereinander setzen durch gegenseitige Schikane die Störkommunikation fort. Und da die Stressfähigkeit des Körpers irgendwann an physiologische Grenzen kommt, kann die Störkommunikation unter Anwesenden spätestens durch Erschöpung auf eine Interaktionssequenz beschränkt werden. Das heißt, dass nur durch eine Anschlusssequenz weitere Störkommunkation möglich ist, zur deren Ermittlung allerdings Ordnungsroutinen abgegrufen werden müssen: Zeiteinteilung durch Stundenplan, Raumeinteilung durch Innen- und Außengelände und Einteilungen, die durch Rollenverteilungen entstehen. Wenn also Einteilungen von Einteilungen das bestimmende Ordnungsmuster sind, kann auch Kommunikation als Störkommunikation eingeteilt werden. Die Störkommunikation unter Anwesenden funktioniert anschlussfähig nur, wenn Abläufe, die Sequenzbildungen herstellen, störungsfrei funktionieren. Die Störung einer Stimmung in der Versammlung kann nur gestört werden, wenn die Abläufe – die Ordnungsrouinen, die Verhaltensmuster erwartbar machen – ungestört bleiben.
Fortsetzung folgt