Rauben und schenken
von Kusanowsky
Die Informatisierung der Gesellschaften kann das – erträumte – Kontroll- und Regulierungsinstrument des Systems des Marktes werden, das, auf das Wissen selbst erweitert, ausschließlich dem Prinzip der Performativität (der Sprachfähigkeit) gehorcht. Sie bringt dann unvermeidlich den Terror mit sich. Sie kann auch den über die Metapräskriptionen (d. h. den Voraussetzungen) diskutierenden Gruppen dienen, indem sie ihnen die Informationen gibt, die ihnen am meisten fehlen, um in Kenntnis der Sachlage zu entscheiden. Die Linie, die man verfolgen muß, um sie in diesem letzteren Sinn umzulenken, ist im Prinzip einfach: die Öffentlichkeit müßte freien Zugang zu den Speichern und Datenbanken erhalten.
aus: Gérard Raulets: Leben wir in einem Jahrzehnt der Simulation? Neue Informationstechnologien und sozialer Wandel. In: Postmoderne oder Der Kampf um die Zukunft, 1988 hg. von Peter Kemper, gefunden in: Die Zukunft der Netze (1979) und das Ende der Öffentlichkeit (2011)
Diese Zitat aus dem Jahre 1988 zeigt, wie sehr der Weg von einer Gesellschaft der fleißigen Hände (Industria) zu einer Gesellschaft der Produktion von Wissen vorgezeichnet war. Eine Industriegesellschaft, die die Ergebnisse des Arbeitens und Besitzens als Problemstellung in ihre Selbstbeschreibung aufgenommen hatte, musste irgendwann, nachdem heraus gefunden wurde, dass der Dienstleister, der nichts Bleibendes mehr produziert, den Hauptteil aller Produktion hervorbringt, sich darüber im Klaren werden, dass etwas anderes als arbeiten und besitzen zur Bedingung ihrer Reproduktion gefunden werden muss. Und das Zitat zeigt, was das sein kann: Nicht Wissen, sondern die Findung von Zugang als Voraussetzung für Wissen. Und entsprechend kann man unschwer prognostizieren, wodurch das Regulierungsproblem der Zugangsfindung behandelt wird, nämlich durch rauben und schenken. Es werden Passwörter in manchen Fällen geraubt, in anderen wie beim Whistleblowing verschenkt. So wird rauben und schenken diejenige Unterscheidung sein, durch die sich die Differenzierung vollzieht, einschließlich der Verwechslungsmöglichkeit, wodurch sich das Risiko des Sozialen gleichermaßen aufspannt und einschränkt. Mit der Unterscheidung von Rauben und Schenken dürfte die Gesellschaft dann herausfinden, was eine Industriegesellschaft niemals begreifen konnte, dass nämlich aller Profit niemals nach den Gesetzen entstehen kann, die in den Rechtfertigungsstrategien der kapitalistischen Ideologie verbrämt werden. Kapitalismus funktioniert durch rauben und schenken gleichermaßen, was man daran erkennt, dass beides in ökonomischer Hinsicht mit Geringschätzung betrachtet wird. Schenken gilt als dumm und rauben als verboten. Und doch kann man feststellen, dass beides, wenn auch moralisch verschieden codiert, ganz normal und unverzichtbar ist. Nur die Bedingungen müssen sich ändern, damit man dies plausibel wird. Diese Bedingungen liegen in der Regulierung der Zugangsfindung, die nicht durch staatliche Gewalt sanktioniert werden kann.
Apropos Staat: dass der Staat sehr viel verschenkt wird ständig beobachtet und nur selten gewürdigt. Dass er sich aber auch schon am Raub beteiligt ist ein Zeichen dafür, wie wenig man vom Staat noch erwarten kann.
Nur zur Information: Das zitierte Original stammt sogar von 1979! Ist von Lyotard aus dem „Das postmoderne Wissen.“ Zum Rest brauche ich ein bisschen Nachdenken.
Danke für den Hinweis. Meine Überlegung beruht auf der Frage, warum in unserer ökonomischen Theorie das Rauben und Schenken nicht vorkommen oder wenn doch, dann nur als juristische Frage (Rauben) oder, was das Schenken angeht, als Angelegenheit des privaten Bereichs, des Sponsorings und dergleichen. Aber emprisch sind rauben und schenken das einzige, wodurch die Wirtschaft überhaupt funktionieren kann, denn nicht nur wird im privaten Bereich viel verschenkt – und das bedeutendste ja nicht einmal Geld. Das gilt in Unternehmen und zwischen Unternehmen genauso. Man verschenkt Rat, Auskunft und Kontakte und damit Zugang zu Netzwerken massenweise. Ohne dies würde gar kein Makreting funktionieren. Beim Rauben ist es ähnlich. Wie kann bezweifelt werden, dass im Kapitalismus geraubt wird? Bezweifelt kann das werden, weil ein Verfahren über Gesetzgebung auf eine spezifische Struktur angewiesen ist, die die Unterscheidung von Rauben und Schenken zwar behandeln kann, aber die dafür notwendige Steuerung von politischer und juristischer Entscheidungsmacht verwendet das gleiche Unterscheidungsprogramm wie die Ökonomie, ein Programm, das sich auf den „freien Willen“ bezieht. So wird das Rauben und Schenken juristisch sanktioniert; und ökonomisch wie politisch bleiben die Resulate indifferent. Aber die sozialen Mechanismen, die sich in der Kommunikation als Kräfte entfalten, die rauben und schenken, bleiben unverstanden. Das ändert sich, wenn Wissen nicht mehr als Recht behandelt wird, sondern als unverzichtbare Voraussetzung dafür, dass Rechte, welcher Art auch immer, verstanden werden können. Die Produktion von Wissen aber hat nichts zutun mit mit einem Transfer von Gütern, sondern mit der Reflexion von Anschlusschancen, die durch rauben und schenken vermindert oder vermehrt werden können. Darum müssen die Raubkopierer mit aller Härte verfolgt werden, weil die Industrie nicht versteht, wie man den Räubern ihre Anschlusschancen vermasseln könnte. Denn das Interessante an der Internetpraterie ist ja, dass sie selbst keine kommerziellen Chancen hat, anders als die konventionelle Industriepiraterie. Und was das Schenken angeht, so müsste man einmal über den Erfolg von Microsoft nachdenken, der ja nur möglich war, weil die Raukopierer in den 80er Jahren massenweise Windows kopierten und auf diese Weise auf den PCs weltweit den Standard durchsetzten. Man könnte also sagen, dass die Räuber Microsoft mehr geschenkt haben als das Unternehmen aus eigener Kraft hätte erwirtschaften können. Für Google gilt etwas ähnliches.
„Kapitalismus funktioniert durch rauben und schenken gleichermaßen, was man daran erkennt, dass beides in ökonomischer Hinsicht mit Geringschätzung betrachtet wird. “
So? http://www.rp-online.de/panorama/ausland/40-US-Milliardaere-spenden-Haelfte-ihres-Vermoegens_aid_889917.html
Ja, insbesondere, wenn man die Semantik betrachtet: Vermögende spenden Geld! Für die ökonomische Theorie ist das nur Kasperletheater.
Was verstehst du unter „DIE ökonomische Theorie“. Das Feindbild wäre mir zu ungenau…
Dann musst du dir ein genaueres Feinbild machen.
Muß ich? (Kusanowsky 6. September 2011 19:44 Du musst es nicht.) Wenn ich wollte würde ich, weil ich die gesamte verfügbare Litertaur nicht überblicken kann und somit das Vorurteil nicht leicht zu teilen vermag, am ehesten vermuten, Du meinst das, was man an den Unis als die BWL zu lernen bekommt? Aber das ist ja sowieso nichts als Kasperletheater…
Bei Marx sehe die Sache schon anders aus: Er fasst die „ursprüngliche Akkumlation“, die Exappropriation, den Raub von Grund und Boden als den noch nicht zu Ende gekommenen Beginn des Kapitalismus.
Über die Ökonomie der Gabe hat Mauss geschrieben…
[…] Der Verzicht auf den Urheber Rauben und Schenken […]