Definition der Dokumentform

von Kusanowsky

Das Dokumentenschema ist eine Form derjenigen Möglichkeit von Erfahrung, durch die sich die moderne Gesellschaft selbst beschrieben hatte. Mit dem Begriff  des Dokuments ist nicht das Erlebte selbst gemeint, also ein konkretes Papierdokument, sondern er bezeichnet ein Schema, welches dem Erleben eine bestimmte Form gibt, gleichsam als Bedingung der Möglichkeit dieser Art der Formbildung. Die Dokumentform als nicht beobachtbare Einheit der Differenz von Referenzierbarkeit und Nichtreferenzierbarkeit macht damit Dokumente als Texte, Bilder oder Objekte und Menschen erlebbar, aber dies auf eine sehr eingeschränkte und dennoch antezipierbare Weise, nämlich insofern sie Ansprüchen genügen, die nicht mehr nur auf Logik, Widerspruchsfreiheit und Wahrheit überprüfbar sind, sondern zusätzlich auf Rationalität, Wahrhaftikgeit, Originalität usw. Das Medium der Dokumentform wäre entsprechend „Fremdreferenz“ und schränkt seine Beobachtbarkeit durch Erweiterung seiner Verwendungsfähigkeit ein. Erst dadurch können die Elemente ensembliert und zugeordnete Beobachtungen indiziert werden, wenn Systeme ihren Gebrauch erlernen. So werden durch Lernprozesse im Medium der Fremdreferenz Sequenzen generiert, deren Limitierbarkeit durch freigestellte Verweisfähigkeit innerhalb dieses Ensembles das Medium blockieren und die Form ausdifferenzieren. Die Welt wird damit gleichsam durch ein Verfremdungsverfahren erfahren. Die Vertrautheit mit der Welt geschieht durch den Umweg der Verfremdung. Das heißt: der Idealtyp der Dokumentform wäre identsich mit ihrem Medium, nämlich empirisch nicht überprüfbare „reine“ Fremdreferenz. Wenigstens vermag die iterative Einschränkung der Kontingenz des Mediums diese Form als Fremdreferenzialität und als „Soll-Norm“ zu etablieren und in der Folge eine Möglichkeit der vollständigen Durchrechenbarkeit der Welt in Aussicht stellen (z.B. als Fortschritt, säkulare Eschatologie u.dergl.)
Die Dokumentform erhärtet sich, indem sie ihre Elemente als Differenzen in fremdreferenzielle Behandlungsroutinen überführt, die im operativen Vollzug immer genau diejenigen Bedingungen invisibilisieren, durch die diese Behandlungsroutinen differenzierungsfähig werden. So kann sich die Dokumentform bewähren, indem sie beispielsweise Beweisbakeit erzeugt, aber sie scheitert, sobald die Form selbst auf Beweisfähigkeit überprüft wird. Man kann erwarten, dass es auf Beweise ankommt, aber man kann nicht beweisen, dass es auf Beweise ankommt.
Eine strukturierte Erwartung von Fremdreferenz schlägt sich dann nieder im Verbot derjenigen Bedingungen, durch die diese Form möglich wird, als da wären:Tautologie, Selbstreferenz, Beliebigkeit, Widersprüchlichkeit, Unklarheit, Missverständnis, Verwirrung, Manipulation, Unverständlichkeit usw. Und sobald diese Verbote und Vorbehalte nicht mehr oder nur noch sehr schwer gegen die Kontingenz der Dokumentform durchgesetzt werden können wird erst die Form sichtbar, die solche Erwartungen durch Schematisierung erzeugt.
Das Dokumentschema dient der Strukturierung von Sinngehalten; und spätestens mit dem Internet, also dem post-funktional differenzierten Medium, ist die Dokumentform an ihre Grenzen gelangt, weil das zu ihrer Stabilisierung notwendige Schema durch digital gestütze Kommunkation zerfällt. Gleichzeitig scheint die Gesellschaft ihre Selbstbeobachtung umzustellen auf andere, komplexere Schemata. Die Beobachtung von Kommunikation geschieht dann nicht mehr nur in einer linearen Dokumentenform. Stattdessen wird auf ein Simulationsschema umgestellt, das nicht-lineare Verweisungsmöglichkeiten erprobt, die es zu beobachten gilt, bevor man dem “Dokument” überhaupt eine Bedeutung abgewinnen kann.
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