Zustimmung oder Ablehnung? Eine double-bind-Beobachtung
von Kusanowsky
Der als „letzter Diktator Europas“ kritisierte Lukaschenko nahm die teilweise bizarre Parade mit 160 Fahrzeugen ab … Die Opposition hatte ihre Anhänger aufgerufen, Lukaschenkos Rede bei der Parade mit heftigem Klatschen zu stören. Die Miliz warnte daraufhin vor „eigenmächtigem Applaudieren“. Mehrere Zuschauer, die trotzdem klatschten, seien abgeführt worden, hieß es. (Herkunft: Bericht über Weißrussland in Focus online)
Ein diabolisches Spiel. Eine machtlose Opposition unterläuft eine eingespielte Unterscheidungsroutine. Die Unterscheidung von Zustimmung und Ablehnung wird durch die Maßnahme, Ablehnung durch Klatschen zu signalisieren, kontingent gesetzt, was zur Folge haben könnte, dass die festgenommen Applaudierer entweder Oppositionelle waren, die zum Weiterklatschen animieren wollten, oder schlecht informierte Zuschauer, denen ihre Zustimmung als Ablehnung ausgelegt wird und durch die Maßnahmen der Staatsgewalt nun darüber informiert werden, wie unschuldig sie sind, was erforderlich macht, diese Unschuld nachzuweisen. Oder es waren Oppositionelle, so markierten sie ihre Ablehnung durch Zustimmung, für die sie bestraft werden könnten, es sei denn sie könnte nachweisen, dass sie nur schlecht informiert waren. Das Diabolische an diesem Spiel ist, dass die Maskierung beiderseitig in Anspruch genommen werden kann. Denn nicht nur Oppositionelle könnten sich als unschuldige Bürger tarnen, sondern auch die Staatsgewalt könnte Polizisten als Applaudierer unter die Zuschauer mischen um durch anschließende Beobachtung herauszufinden, ob es Oppositionelle gibt, die mitklatschen möchten.
Solche Maßnahmen zeigen einen Eskalationsprozess der Verschärfung einer Konfliktbeziehung, die nicht mit Gewalt fortgesetzt werden kann, wenn die Gewaltmittel nahezu vollständig nur auf der Seite des Staates vorhanden sind. Man erfindet solche Maßnahmen zur Zerstörung aller Stabilität von Beobachtungssicherheiten, was freilich nur solange ein geeignetes Mittel ist wie einer unangreifbaren Macht eine genauso hilflose Opposition gegenüber steht. Wären die Gewichte nicht ganz so eindeutig ungleich verteilt könnten solche Maßnahmen durchaus ihr Ziel verfehlen. Denn auch eine Opposition will Macht erringen und braucht dazu Sicherheiten.
Aber bemerkenswert ist hier die Zerrüttung von Unterscheidungsroutinen, die streng genommen keinen Rückweg mehr zulassen, weil ja solche Maßnahmen weltweit beobachtet werden und auch woanders die Fantasie bereichern, nicht nur im politischen Bereich.
Auch im Wirtschaftssystem kann man solche Zerrüttungen feststellen wie etwa an dem Imperativ, den Twitter ausgibt: Folge deinen Interessen!
Einerseits findet hier eine Verkehrung statt. Denn das ehedem verwendete Recht, seinen eigenen Interessen zu folgen, entstand als Widerspruchshandlung gegen eine Gehorsampflicht, die den Interessen übergeordneter Instanzen Vorrang einräumte. Andererseits wird dieser Imperativ nunmehr in die Indifferenz von Beobachtungen überführt. Den der Algorithmus des Twitternutzers verfolgt den Nutzer, indem der Nutzer andere Nutzer verfolgt. Dabei ermittelt der Alorithmus die Interessen eines jeden Nutzers und sortiert für den jeweiligen Nutzer Informationen so, dass sie dem Nutzungsverhalten des Nutzers entsprechen. Der Nutzer folgt dann den Vorgaben eines Algorithmus. Und wie gering die kognitive Anpassungsfähigkeit an solche Verkehrungen sind, zeigt dieser Dialog: Neulich, bei Twitter
Diese Indifferenz durch Auflösung von Beobachtungssicherheiten könnte, wenn sie sich irgendwie zum Nachteil ausbilden, für alle Beteiligten zum Nachteil werden, also auch für ein Unternehmen wie Twitter, das über seine Nutzer alles wissen will und durch den Algorithmus genau diese Sicherheit unterläuft.
„Folge Deinen Interessen“ ist die zeitgemässe Variante des Aufklärungs-Slogans: „Wage es, Deinen eigenen Verstand ohne die Leitung eines Anderen zu gebrauchen.“ Dass sich so Wenige daran halten gibt Grund zur Hoffnung, Verzweiflung könne sich womöglich doch lohnen.
Der Twitter-Imperativ verlangt, einem Algorithmus zu folgen. Interessant daran ist zu beobachten was passieren könnte, wenn Algorithmen sich gegenseitig verfolgen. Es geht um die Sicherstellung von Beobachtungsergebnissen, die wohl auf diese Weise nicht mehr gelingt, besser: diese Verfahrensweise wird Ergebnisse liefern, die niemand bestellt hat.
[…] zu Zustimmung oder Ablehnung? Eine double-bind-BeobachtungWährend in Weißrussland eine ohmächtige Opposition anlässlich einer Propagandaveranstaltung […]
Haben nicht alle Imperative, sofern sie Prä-Skripte sind, pro-grammatischen und programm-artigen (algorithmischen) Charakter? Sie verlangen, sich freiwillig der Fremdbestimmung und Fremdprogrammierung, einem Skript, zu überantworten…Per Zurechnung.
„Folge Deinen Interessen“ („die wir dir, da Du Sie selbst womöglich noch gar nicht kennst, als Beobachter Deiner sozialen Praxis hiermit ausführlich auflisten) unterscheidet sich für mich insfoern zumindest nicht signifikant vom esoterischen „Sei Du selbst“. Denn auch um letztgenannter Direktive genüge zu tun ist es unumgänglich, „SICH“ mit Attributen zu identifizieren, die einem die Gesellschaft unablässig zuspielt, die man sich „selbst“ aber nicht oder noch nicht zurechnet.
„Folge Deinen Interessen“ verlangt also doch nichts anders, als dass man jenes, was Fremdbeobachter an Interessen auf einen zurechnen, widerstandslos auf sich selbst zurechnet.
Hiya,
bleibt nur zu hoffen, dass es der weißrussischen Opposition baldmöglichst gelingt, diesem anachronistischen Haufen Scheiße, dem System Lukaschenko durch weiterhin konsequent angewandtes dialektisches Handeln den politischen Garaus zu machen. Auch Loyalität kann sich in ihr Gegenteil verkehren, wenn sie exzessiv angewandt wird. Es gibt da noch mehr Möglichkeiten, als den Beifall. Hierarchien zerplatzen, wenn das sie ermöglichende Nicht-Hierarchische plötzlich wegfällt.
LG, Nick H.
[…] eine enorme Beobachtungsunsicherheit hervor rufen. Als Beispiel dafür seien die jüngere Versuche der weißrussischen Opposition genannt, die es anlässlich einer Militärparade des Regimes geschafft hat, Applaus als akustisches […]
Können lernfähige Algorithmen einen Irritation erwartenden Beobachter erwarten?
Das ist eine Frage, die man an eine Turing-Maschine richten könnte. Die Antwortmöglichkeiten sind: 1. Ja 2. Nein 3. Vielleicht. Die selben Antwortmöglichkeiten ergeben sich auch, wenn man diese Frage an sich selbst richtet: bin ich ein lernfähiger Algorithmus, der einen Irritation erwartenden Beobachter erwarten kann? Die Einschränkung der Auswahl würde ich so vornehmen: entweder kann man die Frage eindeutig eindeutig (sic!) beantworten (ja oder nein) oder nur eindeutig uneindeutig; letztere Möglichkeit würde mich dann veranlassen, ein Ordnungsmuster von Erwartungserwartungen zu überprüfen und würde mir eine Entscheidungsmatrix gliedern. Lässt sich ein solches Ordnungsmuster schnell oder langsam bilden? Kann ich ein Ordnungsmuster auch dann erwarten, wenn ich versuche Selbstreflexivität zu vermeiden? Machen sich Perturbationen bemerkbar, also Ablenkungen von Unterscheidungsroutinen, die ihrerseits selbstreflexiv auftreten? Lassen sich in einem Ordnungsmuster semantische Verschiebungen erkennen? All diese Überlegungen und ihre Beobachtungsergebnisse sind natürlich auch abhängig von der Geschwindigkeit der Kommunikaiton, ihre Taktung, bzw. ihre Rhythmisierung. Sollte die Auswertung all solcher Zusammenhänge nicht den Schluss zulassen, dass ich es mit einer Turing-Maschine zu tun habe, würde ich versuchen, ein Beziehungsrisiko einzugehen, also Verbindlicheiten als Fortsetzungsbedingung der Kommunikation zu testen. Welche Art von Verbindlichkeit das ist, ist schwer zu sagen; eine Möglichkeit wäre eine face-to-face-Gespräch oder irgendetwas anderes.
Denke ich mir als Ergebnis, dass ich schon vorher feststelle, dass ich es mit einer Turing-Maschine zu tun habe, würde ich deine Frage mit „Nein“ beantworten. Sollte ich dies nicht festellen und die Kommunikation lässt ein Ordnungsmuster erkennen, das auch Verbindlichkeiten und damit Risiken zulässt, wird die Frage wenigtens mit „Vielleicht“ beantwortet. Was wäre, ich lasse mich auf Verbindlichkeiten ein und muss dann festellen, dass es sich 1. um eine Turing-Maschine handelt und 2. dass sie mich über’s Ohr gehauen hat, dann lautet die Antwort auf deine Frage, sofern ich sie an mich selbst richte („bin ich ein lernfähiger Algorithmus…“): Vielleicht!