Aus dem Museum: die produktive Kraft des Verbrechers von Karl Marx #piratenpartei #filesharing
von Kusanowsky
Von Martin Hufner kam gestern ein interessanter Link zu einem alten Stück aus dem Museum. Dabei handelt es sich um einen Auszug aus der Schrift „Theorien über den Mehrwert“ von Karl Marx, in dem er in einem Abschnitt einige Abschweifungen über die produktive Kraft des Verbrechers niederschrieb. Interessant zu lesen wäre dieser Text insbesondere mit Blick auf das virulente Verbrechtertum, das durch das Internet erzeugt wird: Filesharer, Raubkkopierer, Whistleblower, Plagiatsjäger, Zensoren, Überwacher. Aber man müsste auch Abo-Fallenbetreiber und Abmahnanwälte dazu nehmen. Und müsste man nicht auch den Innenminister auf die Liste setzen? Denn schließlich ist die Frage, was Recht ist und was nicht, durch das Internet aufgebrochen. Und man kann nicht einfach glauben, dass das, was lange als Recht galt immer Recht bleiben könnte. Entsprechend dürfte man, wenn man diesen Text gelesen hat, auch die produktive Kraft der Polizei in das Verbrechertum einsortieren.
Ein Philosoph produziert Ideen, ein Poet Gedichte, ein Pastor Predigten, ein Professor Kompendien usw. Ein Verbrecher produziert Verbrechen. Betrachtet man näher den Zusammenhang dieses letztren Produktionszweigs mit dem Ganzen der Gesellschaft, so wird man von vielen Vorurteilen zurückkommen. Der Verbrecher produziert nicht nur Verbrechen, sondern auch das Kriminalrecht und damit auch den Professor, der Vorlesungen über das Kriminalrecht hält, und zudem das unvermeidliche Kompendium, worin dieser selbe Professor seine Vorträge als „Ware“ auf den allgemeinen Markt wirft. Damit tritt Vermehrung des Nationalreichtums ein. Ganz abgesehn von dem Privatgenuß, den, wie uns ein kompetenter Zeuge, Prof. Roscher, [sagt,] das Manuskript des Kompendiums seinem Urheber selbst gewährt.
Der Verbrecher produziert ferner die ganze Polizei und Kriminaljustiz, Schergen, Richter, Henker, Geschworene usw.; und alle diese verschiednen Gewerbszweige, die ebenso viele Kategorien der gesellschaftlichen Teilung der Arbeit bilden, entwickeln verschiedne Fähigkeiten des menschlichen Geistes, schaffen neue Bedürfnisse und neue Weisen ihrer Befriedigung. Die Tortur allein hat zu den sinnreichsten mechanischen Erfindungen Anlaß gegeben und in der Produktion ihrer Werkzeuge eine Masse ehrsamer Handwerksleute beschäftigt.
Der Verbrecher produziert einen Eindruck, teils moralisch, teils tragisch, je nachdem, und leistet so der Bewegung der moralischen und ästhetischen Gefühle des Publikums einen „Dienst“. Er produziert nicht nur Kompendien über das Kriminalrecht, nicht nur Strafgesetzbücher und damit Strafgesetzgeber, sondern auch Kunst, schöne Literatur, Romane und sogar Tragödien, wie nicht nur Müllners „Schuld“ und Schillers „Räuber“, sondern selbst „Ödipus“ und „Richard der Dritte“ beweisen. Der Verbrecher unterbricht die Monotonie und Alltagssicherheit des bürgerlichen Lebens. Er bewahrt es damit vor Stagnation und ruft lene unruhige Spannung und Beweglichkeit hervor, ohne die selbst der Stachel der Konkurrenz abstumpfen würde. Er gibt so den produktiven Kräften einen Sporn. Während das Verbrechen einen Teil der überzähligen Bevölkerung dem Arbeitsmarkt entzieht und damit die Konkurrenz unter den Arbeitern vermindert, zu einem gewissen Punkt den Fall des Arbeitslohns unter das Minimum verhindert, absorbiert der Kampf gegen das Verbrechen einen andern Teil derselben Bevölkerung. Der Verbrecher tritt so als eine jener natürlichen „Ausgleichungen“ ein, die ein richtiges Niveau herstellen und eine ganze Perspektive „nützlicher“ Beschäftigungszweige auftun.
Bis ins Detail können die Einwirkungen des Verbrechers auf die Entwicklung der Produktivkraft nachgewiesen werden. Wären Schlösser je zu ihrer jetzigen Vollkommenheit gediehn, wenn es keine Diebe gäbe? Wäre die Fabrikation von Banknoten zu ihrer gegenwärtigen Vollendung gediehn, gäbe es keine Falschmünzer? Hätte das Mikroskop seinen Weg in die gewöhnliche kommerzielle Sphäre gefunden (siehe Babbage) ohne Betrug im Handel? Verdankt die praktische Chemie nicht ebensoviel der Warenfälschung und dem Bestreben, sie aufzudecken, als dem ehrlichen Produktionseifer? Das Verbrechen, durch die stets neuen Mittel des Angriffs auf das Eigentum, ruft stets neue Verteidigungsmittel ins Leben und wirkt damit ganz so produktiv wie strikes auf Erfindung von Maschinen. Und verläßt man die Sphäre des Privatverbrechens: Ohne nationale Verbrechen, wäre je der Weltmarkt entstanden? Ja, auch nur Nationen? Und ist der Baum der Sünde nicht zugleich der Baum der Erkenntnis seit Adams Zeiten her? Mandeville in seiner „Fable of the Bees“ (1705) hatte schon die Produktivität aller möglichen Berufsweisen usw. bewiesen und überhaupt die Tendenz dieses ganzen Arguments:
„Das, was wir in dieser Welt das Böse nennen, das moralische so gut wie das natürliche, ist das große Prinzip, das uns zu sozialen Geschöpfen macht, die feste Basis, das Leben and die Stütze aller Gewerbe und Beschäftigungen ohne Ausnahme; hier haben wir den wahren Ursprung aller Künste und Wissenschaften zu suchen; und in dem Moment, da das Böse aufhörte, müßte die Gesellschaft verderben, wenn nicht gar gänzlich untergehen.“Nur war Mandeville natürlich unendlich kühner und ehrlicher als die philisterhaften Apologeten der bürgerlichen Gesellschaft.
Update: gerade wieder per Spiegelonline einen passenden Bericht gefunden:
„Geld aus der Steckdose – Ein gefährliches Projekt, das Regierungen stürzen und die Weltwirtschaft destabilisieren könnte – oder ein Schritt zu mehr Unabhängigkeit von Banken und Regierungen? Die digitale Hacker-Währung interessiert sogar die CIA – und macht einige Menschen gerade sehr reich.“
http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/0,1518,765382,00.html
@posting
Und wenn wir den Stellungnahmen der Polizeigewerkschafter zur disjährigen Kriminalstatistik glauben schenken, ist auch die Polizei als Produktivkraft aktiv, sofern ein mehr an Polizisten ein Mehr an Verbrechen schaffen: „Im Übrigen bilde dieses Datenwerk nicht die Kriminalität in Deutschland ab, sondern sei eine bloße Tätigkeitsbeschreibung der Beamten. „Die absurde Logik der PKS ist doch: je weniger Polizei, desto weniger Straftaten.“ http://bit.ly/ixgGgt
@nachtrag: Ist es nicht nur logisch, dass das Geld aus seiner physischen Warenform, dem physischen „Produkt“ Münze oder Geldschein, das sich herumtragen ließ wie eine Zeitung oder eine Schallplatte, übergeht in eine digitale Warenform? Das also die Datensätze im Online-Banking nicht mehr referentiell auf einen „realen“ Wert, eine Banknote als Dokument verweisen, sondern selbst referenzlos Geld „sind“?
@postdramatiker „Ist es nicht nur logisch, dass das Geld aus seiner physischen Warenform übergeht in eine digitale Warenform?“ Ja, darauf warte ich schon seit ein paar Jahren. Und es gab ja immer wieder Versuche, nur waren alle anderen Versuche an der Stabilität eines Dokumentgeldes gekoppelt. Das gilt für die Lindendollars genauso wie für paypal, die letztlich Dollar gedeckt sind. Diese Bitcoins sind anders, sie sind eine Art „virtuelles Gold“, aber mit der Eigenschaft der Virtualität verliert diese Art von Geld seinen dokumentarischen Charakter; und damit auch seine Funktion als eingefrorenes Warenäquivalent. Es bleibt zwar pfändbar, weil ja jeder Datensatz eindeutig bleibt, aber für die Anforderungen an eine Tauschwirtschaft, die hauptsächlich auf Dienstleistung angewiesen ist, ist diese Geld ideal: man kann es selbst machen. Das scheint mir der Weg aus der Krise zu sein: Abschaffung des Geldmonopols und Einführung einer Geldfreiheit, die es zulässt, dass jeder sein eigenes Geld „machen“ kann. Diese Bitcoins kommen der Lösung verdächtig nahe.
Ich will ja nicht stören, diese Abschweifung ist vor allem eine über Mandeville und eine moralische. In einer weiteren Drehung ließe sich mutmaßen, dass die „lasterhaften“ Verhaltensweisen vor allem dadurch hergestellt werden, dass man sie auszuschalten versucht. Gesetze setzen auf die Bezwingung der Laster oder sind selbst welche. Und im Grenzwertbereich der Frieden die Hölle, so wie es Mandeville formulierte.
In allen Belangen der Rechtspositionierung im Internet geht es nur um dies. Und zwar ziellos. Es lässt sich meines Erachtens auch keine Position denken, die nicht von diesem Verfahren betroffen wäre. (Aber das ist nur unmaßgeblich hier.)
@Martin Hufner „Es lässt sich meines Erachtens auch keine Position denken, die nicht von diesem Verfahren betroffen wäre.“ Das würde ich etwas ausführlicher interessen. Hast du schon irgendwo etwas dazu geschrieben?
@Kusanowski – Konseuent wäre, wenn der Strom bzw. die Energie selbst die Währung wäre. Wenn also nicht mehr die Akkumulation von Dokumenten (Geldscheinen), die in andere Dokumente (Waren) konvertibel sind, das Maß des Reichtums ausmachte, eine inerte Masse also, sondern ein Bewegliches, aus bloßen Differenzen bestehendes Fluidum, das sich nicht mehr daran bemisst, dass Etwas fließt, sondern nur noch durch das Fließen selbst. Der Begriff der „Geldströme“ kommt metaphorisch schon ganz nah daran. Lindendollar und Co sind, dem stimme ich zu, nur virtuelle Doubles dokumentförmiger Geldeinheiten. Und insofern nur alter Schein in neuen Schläuchen.
Habe ich nicht. Für mich selbst ist das ein bisschen neu. Als alter schlechter Adornit denke ich dabei immer an Sade, jetzt Mandeville oder aber Baudrillard. Zur Technik selbst: Sieht man sich die Entwicklung der Gesetzesmengen an, die dazu ersonnen sind, möglichst alle Tatbestände zu fassen, damit kein unbekannter durchrutscht, kann man beobachten, wie eine Rechtsindustrie darauf reagiert, in dem sie die Systeme da doch immer wieder unterspült. Das für mich traurige dabei ist, dass man es nicht einfach als Schwund zulässt. Statt dessen stopft man die Löcher auf der einen Seite, um neue zu generieren.
„Vermeidenmachen“ führt nicht zur Vermeidung sondern für die einen in ein undurchschaubares Irgendwas (Kafka, Das Schloss) und für die anderen ins Spiel. Je komplizierter die Verfahren, desto höher die Wahrscheinlichkeit für die Lücke – aber an anderer Stelle.
Im Urheberrecht folgen jetzt also Körbe auf Körbe, vermeintlich um das Recht an die „neue“ Situation im Internet anzupassen. Jeder Korb hat bisher aber nicht mehr Rechtssicherheit gebracht sondern nur mehr Gesetze.
Am Beispiel der GEMA-Satzungsänderungen kann man das auch nachvollziehen. Eine permanente Schlupflochentfernungsarbeit da. Und das nächste tut sich auf. Nebenbei noch das ganz normale Spiel der verschiedenen Kräfte der der GEMA untereinander. Man will, so spüre ich das, die Reißleine ziehen, aber jetzt geht es nicht mehr. Wie auf dem Dachboden oder bei Tetris ist alles mehr oder weniger aufgeräumt und/oder verbaut.
Das Bezwingen der Dinge misslingt, grundsätzlich.
@Postdramatiker – Elektrischer Strom als Geld – ja, darüber spreche ich seit etwa 6 Jahren mit einem Bekannten. Was haben wir darübr schon fabuliert. Und ich glaube übrigens auch, dass darin irgendwo die Lösung liegt.
@Martin Hufner „Das Bezwingen der Dinge misslingt, grundsätzlich.“ Ja, sehr interessant, so könnte man das sehen, aber es gibt auch die andere Seite, die der nimmermüden Wiederholung der selben aussichtslosen Versuche. Beides, Hoffnung und Scheitern gehören zusammen und sind die evolutionären Determinierungsbedingungen, die sich gegenseitig erhärten und – wie die Theorie erklären würde – in der Autopoiesis miteinander verquirlt werden. Man sieht es ganz akutell an der Verbreitung des Internets, das man ja beschreiben könnte als die Erfüllung eines Versprechens: Freiheit des Wortes für alle Menschen auf der Welt. Dieses Versprechen wird zwar jetzt erfüllt, aber die Lösung kann nicht ohne Weiteres verstanden werden, weil das vorhergehende Problem, das die Freiheit des Wortes für jedermann als Lösung erforderliche machte, schon lange verschwunden ist.. Stattdessen wird die Lösung nur als Problem akzeptabel, das dringend irgendeiner weiteren Lösung bedarf. Und daher könnte man sich berechtigt fragen, ob das Internet als Lösung oder als Problem zur Welt kommt. Ich würde mich eindeutig dafür entscheiden, die Uneindeutigkeit dieser Entscheidungssituation zu akzeptieren.