Kreditwirtschaft und Atomenergie
von Kusanowsky
Bei den Sozialtheoristen ist ein Artikel gepostet worden, der auf den Zusammenhang von Kreditwirtschaft und Atomenergie eingeht, aber diesen Zusammenhang nur nebenbei behandelt. Tatsächlich ist dieser Zusammenhang wichtiger als man denken möchte. Man müsste einmal daran erinnern, dass etwa die Nutzung der Fotovoltaik historisch ziemlich genau zusammenfiel mit der Nutzung der Atomenergie, nur wurde erstere für die Stromversorgung von Satelitten erfunden. Die Leistungsfähgigkeit dieser Sonnenkraftwerke reichte dafür völlig aus. Warum konnte diese Technik nicht auch zur stationären Verwendung entwickelt und verwendet werden? Das Hauptproblem der Akzeptanz besteht darin, dass mit regenerativen Energien der notwendige Wachstumszwang der Kapitalmärkte nicht dauerhaft gewährleistet werden kann. Die Atomenergie kommt wie (nicht zufällig) gerufen, weil sie genau darauf angepasst ist: schnell und viel Energie zu erzeugen, um ein Wirtschaftswachstum zu fundieren.
Um das in aller Kürze so zu erklären:
Alles Geld, das in Umlauf ist, besteht aus Guthaben, denen eine Schuld gegenüber steht. Alles Geld kommt als Kredit in Umlauf. Dabei gilt eine mehrstufige Geldmengenverbreitung: Die Notenbank verleiht Bargeld (Geldmenge M1) an die Geschäftsbanken, diese verleihen sog. Giralgeld (Geldmenge M2) an Unternehmen und Haushalte. Dieses Giralgeld entsteht durch Kreditschöpfung – man erzeugt Kontostände durch das Prinzip „fiat money“- es werde Geld. Es wird also nicht etwa Bargeld verliehen, dass Sparer vorher eingezahlt haben. Vielmehr wird jeder eingezahlte Euro bis zu 20 mal verliehen. Alle Kredite, auch M1, müssen zurück gezahlt werden zzgl. Zinsen, die auch in Geld bezahlt werden müssen. Aber woher kommt das Geld für die Zinsen? Es entsteht durch weitere Kredite, für die selbstverständlich Sicherheiten hinterlegt und welche also selbst erst hergestellt werden müssen. Also muss die Produktivität wachsen, weil das Kreditvolumen der Gesamtwirtschaft ständig wächst und wachsen muss, um die Zinsen zu bezahlen.
Um einen solches Produkivitätswachstum zu ermöglichen braucht man auch elektrischen Strom; und zwar: möglichst schnell, möglichst viel, weil nur so der Wachstumszwang fundiert werden kann. Daher sind die kostenintensiven Atomkraftwerke, dazu zählen auch Sicherheits- und Propagandamaßnahmen, kein Problem, da sie kreditfinanziert sind und durch Wachstumserträge der Zukunft als „beherrschbar“ in Erscheinung treten, weil ja viel Atomenergie sehr schnell produziert werden kann.
Insofern gilt für die Atomenergie das selbe Dispositiv, das auch für die Kreditwirtschaft gilt: man nimmt die Erträge aus der Zukunft und gibt der Zukunft die Verluste zurück. Tatsächlich muss man zugestehen, dass unter diesen Bedingungen, also die Bedingung des Wachstumszwangs, die Atomenergie alternativlos ist. Deshalb können alle Risikobewertungen niemals etwas anderes zum Ergebnis haben als das, was durch das Risikosystem der Wachtumswirtschaft als notwendig erachtet wird: Wachstum um jeden Preis.
Und wenn man etwa in Deutschland nun anfangen kann, regenerative Energieerzeugung in Erwägung zu ziehen, dann nur deshalb, weil die Wachstumserwartungen immer geringer werden. Denn mit regenerativer Energiegewinnung lässt sich nicht immer möglichst viel möglichst schnell erzeugen.
Wichtig: es geht nicht um Versorgungsicherheit, denn die ist durch regenerative Energie gar nicht gefährdet. Gefährdet ist die Wachstumssicherheit, denn das Wachstum muss weiter gehen, auch dann, wenn alle Märkte gesättigt sind. Wenn nicht, dann entsteht die große Krise, die dadurch möglich wird, dass sie durch Wachstum hinaus geschoben werden soll.
Leider kann man als Lösung auch keine Abwrackprämie für alle produzierten Güter verteilen, weil das Geld für diese Prämie ebenfalls durch Kredit zur Welt käme, oder zugespitzt formuliert: selbst die Zerstörung der Gesellschaft wäre nicht finanzierbar. Man müsste in Zerstörung investieren – und das geht nicht!
Wir erleben gerade eine bahnbrechende Entwicklung. Ob damit das Ende der Kreditfähigkeit erreicht ist, mag man vielleicht vermuten; aber das Ende der Wachstumswirtschaft steht bald bevor und für die daraus resultierende Krise gibt es keinerlei Erfahrungen – denn wie gesagt: auch die totale Sachkapitalzerstörung kommt als Lösung zur Ankurbelung der Nachfrage nicht in Frage, insbesondere deshalb nicht, weil durch die globale Vernetzung der Märkte kein Anfangspunkt mehr gefunden werden kann. Der Nationalismus der Vergangenheit hatte das noch glauben können. Aber diese Zeit ist vorbei.
Und für die Nationalstaaten stellt sich die ernshafte Frage, wer sie rettet, wenn ihre Rettungsmaßnahmen nur bewirken, dass der Tag des jüngsten Gerichts zwar weiter hinaus gezögert, aber nicht verhindert werden kann. Daher ist die Fukushima-Katastrophe tatsächlich von ganz anderer Qualität als Tschernobyl. Fukushima erzwingt eine Zweiteilung ideologischer Rechtfertigungsstrategien: Das kommunistische China etwa, das noch weiteres Kapitalwachstum erwarten kann, kann niemals auf Atomenergie verzichten, während man in Europa schon anfangen kann, sich auf ein postkapitalistische Wirtschaft einzulasssen. Postkapitalistisch heißt hier nur, den Wachstumszwang zu überwinden. Man kann nur zugucken, ob und wie das geht, weil niemand sagen kann wie es gehen könnte.
Dank an http://twitter.com/siggibecker für diesen grandiosen Hinweis.
Man muss gar nicht so weit gehen, und das Beispiel mit der Atomwirtschaft nehmen. Viel kleiner, vor Ort und gar nicht radioaktiv strahlend wird das gleiche Muster bei Businessplanwettbewerben klar. Oft sind Banken oder banknahe Institute Geldgeber der ausgelobten Preisgelder.
Wer gewinnt? In der Regel die Teilnehmer des Wettbewerbs, die den größten Finanzbedarf haben. Hier in der Region sind es Hightech-Startups. Wird hingegen ein Startup als Lean-Startup in Bootlegging-Manier gegründet und geht dieses an den Start – halten sich alle möglichen Unterstützer (inkl. Banken, Politik) zurück.
Denn noch immer zählt „viel Feind viel Ehr'“, wobei Feind für Geldbedarf steht.
Ist diese Annahme wirklich noch zeitgemäß? Für manche aktuellen Keyplayer durchaus. Doch was passiert, wenn der nächste „Black Swan“ nicht in Thailand, Japan, Neuseeland oder Island zuschlägt, sondern inmitten unserer eigenen Heimat? Die Hochwasser im Erzgebirge im vergangenen Sommer konnten nur ein kleines Zeichen setzen, sah es doch aus wie Pech für die Kuh Elsa – doch hier entwickelt sich etwas Größeres. Nur noch eine Frage der Zeit, bis der Tipping Point einsetzt!
Sind wir als Gesellschaft vorbereitet? Und wenn nicht, wie bereiten wir uns auf den Tag nach heute vor?
@ralf „wie bereiten wir uns auf den Tag nach heute vor?“ – ich glaube, dass dieser Erfahrungsprozess gegenwärtig im Gang ist. Man könnte ihn täglich beobachten, wie man einen Käfer krabbeln sieht. Nur kann man nicht wissen wohin es geht. Der Lernprozess ist ein Selbstanpassungsprozess durch „Gottes unsichtbare Hand“. Nur: ist Gott allmächtig? Gütig? Wohl kaum. Wenigstens ist er nicht vollständig über sich selbst informiert. Das ist das erwartbare Risiko, das allerdings auf eben diese Erwartung trifft. Mein persönliche Spekulation ist, dass der Wachstumszwang nicht abgeschafft, sondern anders interpretiert wird, indem man das, was man noch eine „Sicherheit“ nennen möchte, anders verstehen lernt. Gegenwärtig gilt die Regel: wenn eine Bank nicht zuerst einen Profit machen kann, dann auch kein anderer. Was wäre aber, wenn andere zuerst aussichtsreiche Profite machen, die nicht zuerst die Banken machen? Was vielleicht ginge, wenn die Banken durch ihr permanentes globales Krisenmanagement den Zug verpassen, der gerade abfährt? Und welcher Zug fährt gerade ab? Nun, ich vermute, dass das Internet die Dinge gehörig und diabolisch durcheinander bringt. Aber eben auch Ordnung möglich macht.
… bereiten im Sinne von mental vorbereiten. Wie es jeder gute Ballettänzer tut, um die nächsten Figuren in Interaktion mit seinen Mittänzern zu tanzen.
Je größer das System (Oper bzw. Ballett ist sehr konzentriert) desto unübersichtlicher das Ganze, und doch sind immer ein paar „Checker“ im System, die durch spezielle „Brillen“ oder Standorte im System mehr sehen als andere. Hierdurch kommt es sehr schnell zu Ungleichgewichten, die dann unweigerlich zum Kollaps führen. 1987 habe ich den ersten Börsencrash live im Tradingroom der Landesbank Rheinland-Pfalz miterlebt (machte damals meine Banklehre). Was heute im Netz überall lesbar ist war damals lediglich auf Reuters-Computern sichtbar: der langsame Niedergang der Börsenkurse.
Heute nimmt die Information zu, und mit ihr die Möglichkeiten diese auch zu lesen und zu interpretieren. Doch haben die Menschen noch die Zeit dies zu tun? Wieder werden sie mit Informationen kurz gehalten und Gatekeeper wie Zeitungen, Experten, und Medien allgemein übernehmen die „Führungsrolle“ (teilweise bestimmt mit Geldern der relevanten Lobbyisten).
Wie also aus dem Dilemma rauskommen? Sich dem Schicksal ergeben? Das kann’s wirklich nicht sein. Wenn es so gewesen wäre, wäre die Wende nicht gekommen, hätten wir nicht in Nordafrika die Veränderungen gesehen noch das Ende der Apartheid.
@brett „Die Stromzentralen wollen immer mehr Strom verkaufen.“ – genau! und warum? Das hängt mit dem Wachtumszwang zusammen: alles muss wachsen, auch der Markt für Strom. Es muss das Angebot genauso wachsen wie die Nachfrage. Beides: sowohl die gesteigerte Nachfrage wie das gesteigerte Angebot müssen kreditfinanziert werden. Deine Beispiel illustrieren das sehr gut. „Hübsche Gedankenspielerei, aber sachlich falsch.“ – Genau, aber welche?
[…] letzter Text, über das Ende des Funktionierens des Kreditsystems im Banken- und AKW-Betrieb, wurde von Kusanowsky interessant ergänzt. Allerdings legte er einen kleinwenig anderen Schwerpunkt. Seine Ergänzung paraphrasiert: Die […]
[…] macht, vorgenommen. Aber lustig ist das alles gar nicht, wenn man darüber nachdenkt, wie soziale Mechanismen der Feindpropaganda funktionieren und wie sehr diese Mechanismen auf die Möglichkeiten einer durch Menschen bedingten […]
[…] der Atomenergie besteht darin, kostengünstig große Mengen Strom zu produzieren und damit dem Energiebedarf einer Wachstumswirtschaft eine beinahe nie versiegende Quelle zur Verfügung zu stellen. In Japan haben wir es gerade mit der […]
[…] Noch geht es, aber man kann jetzt schon sehen, dass bald Land in Sicht kommt, weil auch in anderer Hinsicht, Wachstumsgrenzen sichtbar werden.Der Überforderung wird vorerst noch mit einer […]
[…] dazu auch: Kreditwirtschaft und Atomenergie Teilen Sie dies mit:TwitterFacebookE-MailDiggStumbleUponRedditLinkedInGefällt mir:LikeSei der […]