Das Problem der „echten“ Kommunikation? #socialmedia #simulationsmedien
von Kusanowsky
Den aktuellen Stand einer Entwicklung relativ präzise zu erfassen ist gar nicht so schwer. Es kommt dabei nicht auf eine genaue Definition dessen an, was man beobachtet, da es sich ja gerade in der Entwicklung befindet. Eine recht präzise Definition dürfte man erst dann formulieren können, wenn die Entwicklung schon wieder etwas anderes aktuell gemacht hat, wenn also das, was man beobachten will, schon längst wieder verschwindet. In Sachen „Social Media“ und die Frage, was man damit anfangen könnte, lässt sich gerade durch Negation die Entwicklung einer Lösung beobachten, insofern sie als Problem behandelt wird. Es geht dabei um das Problem der „echten Kommunikation„. Inzwischen entsteht ein Markt, der es möglich macht, sich Fans und Kommentatoren zu kaufen, um damit einen Bekanntheitsgrad zu simulieren.
Zwar wird diese Praxis bei den meisten bisher beobachtbaren Kommentatoren mit Geringschätzung behandelt – und die interessante Frage wäre, warum dies so ist – so kann man aber doch auch feststellen, woher die Notwendigkeit kommt, sich auf einen solchen Markt einzulassen. Der Grund liegt in der Anfangserfahrung im Umgang mit dem Internet, die zunächst immer noch angepasst ist auf das Dispositiv von Massenmedien. Der massenmedialen Codierung zufolge kommt alle Kommuniktion als erfolgreiche Kommunikation durch Unterschiede der Quantifizierbarkeit zustande. Alles, was durch Massenmedien kommuniziert werden kann, muss an irgendeiner Stelle als Phänomen des Quantitativen, als Massenphänomen erkennbar sein. Das betrifft nicht nur Einschaltquoten, Reichweite, Auflage oder Seitenaufrufe, die darüber entscheiden, welche Themen innerhalb einer umzirkelten Zielgruppe akzeptabel sind, sondern auch, welche Strategien der Ermittlung bestimmter realer Entitäten wie Zielgruppen, Multiplikatoren, Distributionswege und Produktionsmethoden relevant sind. Folglich muss notwendig, wenn sich die Ermittlungensstrategien durch das Internet als nahe vollständig kontingent erweisen, weil eine intersubjektive Überprüfung entsprechender Auswertungsergebnisse gar nicht mehr vorgenommen werden kann, die Beobachtbarkeit von Quanitätsunterschieden selbst massenweise kommuniziert werden. Es ist also kein Wunder, dass, wenn etwa Seitenaufrufe nicht mehr verlässlich als Indikator für Massenakzeptanz genommen werden können, man Seitenaufrufe, Zuspruch oder Interesse simuliert, weil damit eine Verwendungsmöglichkeit des Massenmediums konsequent erprobt wird. Außerdem gilt aufgrund des Beobachtungsverhältnisses der doppelten Kontingenz, dass sich im Prinzip niemand leisten kann, darauf zu verzichten, denn das Beobachtungsverhältnis, das sich durch die gegenseitige Erwartung von Massenzuspruch strukturiert, erzwingt eine Kommunikation nach der Devise: „der frühe Vogel fängt den Wurm“. Erziele ich nicht den Erfolg, erzielt ihn ein anderer.
Das funktioniert übrigens auch dann noch, wenn durch Wissenaufdeckung sich diese Praxis auf dem Markt herumspricht, wenn also jeder vom anderen Wissen kann, dass nur eine Simulation von Akzeptanz vorliegt. Der Grund dafür liegt wiederum im Massenmedium begründet, das einfach keinen anderen Richtwert für die Orientierung von Anschlussmöglichkeiten zulässt als den der Quantifizierbarkeit aller Beobachtungen. Denn auch hier gilt die bekannte Devise des Sektenführers Bhagwan Shree Rajneesh, der mitteilen ließ: „Es kommt nicht darauf an, wie man über uns spricht, sondern dass man über uns spricht.“ Selbstverständlich ist diese Devise nicht in jeder Marktnische opportun, dennoch gilt, dass auch bei gegenseitiger Durchschauung einer Simulationsstrategie mit dem eigenen Nichtwissen gerechnet werden muss. Man weiß zwar irgendwie, dass die Konkurrenten sich gegenseitig durchschauen, aber dennoch ist niemand vollständig informiert. Denn auch wenn Facebook-Fans simuliert sein könnten, so weiß man z.B. nicht genau wer weniger Kostenaufwand dafür leistet, woraus sich andersherum ein Konkurrenzunterschied ableiten lässt.
Als Reaktion auf die Paradoxie der durchschaubaren Undurchschaubarkeit entsteht dann das, was eingangs als Problem bemerkbar wurde: die „echte Kommunikation“, von welcher man glaubhaft machen möchte, dass sie sich langfristig eher auszahlen würde, da sie auf Nachhaltigkeit setzt. Aber solche Überlegungen verbleiben zunächt nur appellativ oder erscheinen als unverbindliche Vorschläge zur Marktpositionierung. Aber interessant – und zwar gerade nicht in epistemologischer Hinsicht – ist die Unterscheidung von echter und falscher Kommunikation. Epistemologisch könnte man dies als eher zurückgeblieben abtun, aber dann würde man die Beobachtung der Systemgeschwindigkeit verpassen. Gerade wenn man auf der Basis epistemologischer Ergebnisse diese Marktprozesse beobachtet, kann man sich eine Entwicklung vorstellen, die ein nichtlösbaren Problem in eine Lösung überführen wird, indem der Unterschied von echter und falscher Kommunikation nur noch auf die Frage ihrer Fortsetzbarkeit reduziert und Simulation im Unterscheidungsprogramm nicht mehr als Negativwert bezeichnet wird.
Daraus könnten dann methodische Frage der Effizienz von Simulation resultieren, oder auch ästhetische Fragen, die nicht mehr darauf abstellen, ob Simulation vorliegt, sondern ob sie gut gelungen ist. Aber dazu bedarf es einer andersartigen Codierung, nicht nirgends einfach bestimmt kann, sondern evolutiv gefunden werden muss.
Es fällt ja schwer, die epistemologischen Reflexe zu übergehen.
Versuchen wir’s trotzdem. Im von dir verlinkten Artikel („Warum Unternehmen…“) scheint mir bei der Suche nach der „Echtheit“ Vieles und das noch dazu ziemlich willkürlich durcheinandergeworfen zu werden.
ist mit „echter“ Kommunikation nur die Bereitstellung von Feedback-Kanälen gemeint? Also gewissermaßen eine Umstellung der Infrastruktur entlang der Unterscheidung von Verbreitung und Kommunikation, hin zu letzterem?
ist mit „echter“ Kommunikation so etwas wie „Authentizität“ gemeint? Eine Form, die dem „Zeitalter der Massenkommunikation“ (ebd.) irgendwie abhanden gekommen zu sein scheint? Die insistierte „Echtheit“ also insbesondere von Anonymität und/oder kommunikativer Reichweite unterschieden wird?
und die Unklarheit des Gemeinten appellativ verpackt, ganz der vermeintlich kritisierten Logik folgend, in einen Blogartikel verpackt in den massenkommunikativen Äther geladen?
Das hat man alles, so oder ähnlich, schon tausendfach gelesen. Oder lesen müssen (vgl. z.B. nur http://sebastian-ploenges.com/blog/2010/show-media/). Darum noch mal anders.
Grundsätzlicher wäre dann doch ziemlich interessant herauszufinden, welche Sehnsüchte und/oder welcher Kulturpessimismus so ein Verlangen nach „Echtheit“ (oder „Slowness“ im verlinkten Beispiel) beflügeln. Und weiter: wie die Grade der „Echtheit“ skaliert, dokumentiert und mitgeteilt werden sollen. Welche Kategorie sich dafür eignet und auf welche Unterscheidungen zurückgegriffen werden kann. Wichtiger fast: was im jeweiligen Unterscheidungsgebrauch nicht bemerkt werden kann. Eine lehrreiche Erfahrung in diesen Dingen und mit Blick auf solche Fragen mag übrigens die Sichtung der Fülle persönlich adressierter Fragen an einen Twitter-Zitierbot sein: man wundert sich, für wie „echt“ die kleinen Scripts tagein und tagaus gehalten werden, wie ernsthaft man offensichtlich um Kontakt bemüht ist. Turing-Tests auch für Menschen („Mist, schon wieder durch den Turing-Test gefallen…“)? So würde zumindest die Unterscheidung erodieren…
Wenn Relevanz nach Maßgabe der Verbreitung bestimmt wird und Bekanntheit in den Rang einer Zweitwährung erhoben wird (Stichwort: „Aufmerksamkeitsökonomie“), wenn in der fiebrigen Suche nach ihrer Professionalisierung, Technisierung oder Operationalisierung nur noch Quatsch generiert wird (gibt es eigentlich Bullshit-Generatoren für Werber? Bestimmt, oder? Gibt es Werber ohne Bullshit-Generatoren?), kann man das mit mehr Quatsch quittieren – oder schweigen (http://sebastian-ploenges.com/blog/2011/strategie/). Ein Nachbild braucht ein Vorbild; Kommunikation lässt sich nicht dauerhaft simulieren; es sei denn: es wird dabei zufällig kommuniziert.
„Es fällt ja schwer, die epistemologischen Reflexe zu übergehen.“ ja in der Tat, deine treffende Kurzanalyse zeigt an, auf welch wackeligen Beinen die Unterscheidung von echter und falscher Kommunikation steht. Aber, das ist der Standpunkt, den ich immer wieder wiederholen werde: Mag die Unterscheidung auch unhaltbar sein, so ist sie anschlussfähig und die Frage ist warum, wenn man nicht einfach, wie man das früher getan hätte, den beteiligten Menschen mangelnde Verstandesfähigkeit unterstellen kann. Echte Kommunikation meint ja hier: authentische und vielleicht noch immer nachprüfbare Dokumentation von Messzahlen. Das Verlagen nach „echter Kommunikation“ wird ja gerade in dem Fall höchst problemtisch, wo es aufgrund der Kontingenz der Massenmedien gar nicht mehr möglich ist, selbige zu garantieren. Daher dieses: jetzt erst recht! Und je dringlicher das angemahnt wird, umso absurdere Züge nehmen die Versuche an. Wahrlich! Das schönste Beobachtungsexperiment, das man sich vorstellen kann: wie man den Systemen beim Scheitern zuschauen kann ohne daran zu verzweifeln. Daher auch das von dir zurecht angeführte Bullshit, das etwa ab den 90er Jahren beobachtbar wurde, also mit der Etablierung massenhafter Fernsehsender. Denn auch Bullshit ist ja ein Simulationsphänomen, das als gesunkenes Kulturgut des akademischen Bluffs in Erscheinung trat: man simuliert Kenntnisreichtum. Aber: er funktioniert auch dann, wenn man weiß, dass er funktioniert, weil man im Prinzip nicht alles wissen, also nicht immer genau unterscheiden kann, wann Bluff vorliegt und wann nicht. Die Simulation funktioniert, aber solange sie als kommunikatives Defizit betrachtet wird, kann man den Weg nicht für ein Verständnis frei machen, das Simulation als Form der Empirie beobachtbar macht. Gewiss, mit einer Unterscheidung von Simulation und Authentizität kommt da nicht weit.
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