Massenmedien und Quantifizierung
von Kusanowsky
Spätestens mit der Explosion von Druckschriften seit dem 18. Jahrhundert ergab sich eine Vielzahl von Komplikationen, die vor allem in der immer schneller werdenden Beobachtung von skandalösen Widersprüchen auftauchten und die sich auf die Ablösung von Zumutungen richteten, die den Individuen mehr und mehr im wörtlichen Sinne auf den Leib rückten. Auf der einen Seite gehörte zur Möglichkeit der All-Inklusionswirkung von Massenmedien eine Universalisierung von Kommunikation, indem die Adressierbarkeit von Personen extrem schnell ansteigen konnte. Auf der anderen Seite generierte gerade die mit diesem Universalisierungsprozess verbundene Ausdifferenzierung und Komplexitätszunahme der Verbreitungsmedien sowie der Adressenordnungen, die in sie eingeschrieben sind, eine signifikante Erhöhung der Ereignisunwahrscheinlichkeit der Kommunikation.
Es kam zu einer Fragilisierung von Verständigungsprozessen, was auch durch die Quantifizierungsqualität von Massenmedien bedingt wurde. Diese Fragilisierung wuchs sich anschließend zu einem universalen Problem aus, bis im 20. Jahrundert schließlich erkennbar werden konnte, dass die Expansion der Verbreitungsmedien zwar die ganze Welt kommunikabel machte, aber die Kommunikation immer prekärer wurde. Nicht zufällig steht dies im Zusammenhang mit der Kommunizierbarkeit von bis dahin hoch empfindlichen Gegenständen wie Sexualität, aber auch die Herausbildung von psychologischer Forschung und die Verbreitung atheistischen Gedankenguts und eine immer riskanter werdende Experimentierlust, wie man sie etwa in den halsbrecherischen Flugversuchen wiederfindet. Die prekär werdende Kommunikation erzwang gleichsam ein immer „höher, weiter, schneller“ und – wie man weiß – einen Überbietungswettstreit der Radikalisierung in allen nur beschreibbaren Bereichen der Gesellschaft.
Siehe dazu: Scham und Schamlosigkeit – Überlegungen zur Empirieform der modernen Gesellschaft
So ergab sich, erst recht mit der Verfeinerung und Beschleunigung durch technische Verfahren (Fotografie, Kino, Radio), dass die Welt durch Massenmedienmedien als Resultat von Kommunikation wahrgenommen wurde und dass nicht mehr ohne weiteres über Annahme und Ablehnung der Kommunikation entschieden werden konnte, weil das Verbreitungsverfahren die Konnektivität blockierte. Die Übersicht ist seitdem zu komplex geworden. Der Unterschied zur rein schriftlichen oder verbalen Kommunikation besteht ja darin, dass eine Ja-Nein-Stellungnahme nicht präzise auf eine bestimmte Mitteilung bezogen werden kann. So tendiert schließlich die multimediale Vernetzung dazu, die wahrnehmbare Welt insgesamt kommunizierbar zu machen. Und in dem Maße, in dem sich die Kommunikation der Form der Wahrnehmung von Welt annähert, wird sie auch immer unausweichlicher, mit allen Konsequenzen, insbesondere auch, was die Adressierbarkeit von Mitteilungsversuchen angeht.
Bis heute kann aber das Phänomen der sozial strukturierten Einsamkeit nur als Defizit verstanden werden. Zeitungen, Bücher, Radio, Fernsehen machen einsam, insofern sie durch Verbreitung von Dokumenten die Anschlussfindung immer wieder aufs Neue und mit großem Aufwand hergestellt werden muss.
Jeder kennt die Erfahrung, wie schnell Beziehungen einschlafen, wenn man sich nicht ständig darum kümmert. Natürlich weiß man, dass die Adressierbarkeit nie verloren geht, aber die Reflexion unterliegt einem Zeitverzug, wodurch es zu ständiger Überraschung kommt, weil Abwegigkeiten immer nur als die „Dummheit der anderen“, als nicht anders reduzierbare Rekursivitätsphänome in Erscheinung treten. Reflektiv stellt sich ein System zwar auf die Beobachtung von Abwegigkeit ein und dizipliniert sich, aber die Blockierung von Konnektivität wird dadurch nicht beseitigt, sondern verschärft. Man muss sich immer mehr anstrengen um der Komplexität noch gewachsen zu sein. Und, sofern dieser Prozess immer sozial organisiert wird, also sozial-chorologisch, ohne Zentralstelle, verstärken sich Individualisierungsphänomene. Diese Invidualisierungsverstärkung produziert ständige Entmutigungen, die wiederum irgendwie durch Motivation aufgelöst werden müssen; und interessanterweise klappt das auch, aber – wie dann beobachtbar wird – sind die daraus resultierenden Chancen und Risiken nicht für alle gleich, soziale Ungleichheit, Partizipation, mangelnde Chancengleicheit kann dann erst als Problem entstehen und muss über denselben Weg massenmedialer Kommunikation gelöst werden, ein Weg, der die Chancenlosigkeit solcher Versuche jeden Tag deutlich macht.
Entsprechend müsste sich ein Ausweg anbieten, der die all-inkludierende Wirkungsweise der Massenmedien und ihre rekursive Blockade von Konnektivität umgeht, indem – wie bei Facebook prototypisch gezeigt – ein technisches Dispositiv in ein anderes implementiert wird. Aber das Ergebnis wäre dann doppelt: Facebook wäre ein Massenmedium, aber die dadurch zustandekommende Selektivtät lässt auch noch etwas ganz anderes zu, mit ähnlich folgenreicher Leistungsfähigkeit wie konventionelle Massenmedien, aber mit bisher kaum erkennbaren Möglichkeiten.
@kusanowsky „Bis heute kann aber das Phänomen der sozial strukturierte Einsamkeit nur als Defizit verstanden werden.“ Ist das nicht wenig grobkörnig? Wenn ich mich richtig erinnere, finde ich bei Habermas geschrieben, dass bei Kierkegaard, aber schon bei Humboldt die Individualisierung nicht als die in Einsamkeit und in Freiheit vollzogene Selbstrealisierung eines autonomen Subjekts vorgestellt wird, sondern als sprachlich vermittelter Prozess der Vergesellschaftung. Die moderne Identität bildet sich, sagt, Habermas, im Medium der Verständigung und ist Ergebnis eines Verhältnisses von intersubjekiver Anerkennung und intrasubjektiver Verständigung mit sich selbst. Ist das nicht auch schon in der Kantischen Transzendentalphilosophie angelegt und anfänglich auch schon theologisch präformuliert bei Luther?
@jeremias – Der Einwand der Grobkörnigkeit ist natürlich zutreffend und dürfte gewiss nicht nur diesen Aspekt betreffen. Wir dürften damit rechnen, dass es hier wie überall kaum einen Aspekt gibt, der gründlich genug differenziert ist. In der Regel werden Differenzierungsprozesse auch gar nicht beendet, sondern abgebrochen und durch weitere Differenzierungen ergänzt. Aber zur Sache: Die Krux bei Habermas ist ja die weitgehende Übernahme der Identitättheorie von George Herbert Mead, die insbesondere die Sprache in ihrer vermittelnden und welterschließenden Bedeutung betrachtet und das Zusammenspiel von Individuum und Gesellschaft als sprachliche Lernprozesse sieht. Wenn man auch sagen kann, dass damit Einwände gegen die traditionellen Subjektphilosphie verbunden sind, so wird bei Habermas nur der gleiche Beobachtungsstandpunkt differenziert, aber er wird nicht selbst als Reflexphänomen eines sozialen Differenzierungsprozesses verstanden. Vielmehr wird der soziale Differenzierungsprozess als Ergebnis eines wechselseitigen Verhältnisses von Individuen betrachtet. Die Subjektphilosophie wird so nur eingeschränkt. Der Annahme, dass diese Tradition bis auf Luther zurückreicht, würde ich zustimmen, weiß aber nicht, nach welchen theologischen Entsprechungen man bei Luther suchen müsste.
@kusanowsky – Wenn Interesse an Luther, so würd ich seine Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ vorschlagen und mit dem bekannten Zitat anfangen: „Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.“ Ich finde interessant, dass diese Paradoxie immer als auflösbar betrachtet wurde, wobei diese Fähigkeit später bei Kant als Auftrag an „den Menschen“ formuliert wurde, was in den bekannten vier kantischen Fragen aufkommt: Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Was ist der Mensch? Was verbunden war mit einer nicht ohne Skepsis angestellten Vermutung, dass „der Mensch“ das schließlich auch schafft.
[…] nur die Textaussage zu verschlüsseln, sondern auch eine Adressenzuordnung zu verschleiern, um den Nachvollzug der Konnektivität zu […]