Wie man in Zukunft Geheimnisse für sich behalten kann…
von Kusanowsky
Wie kann man Geheimnisse behalten unter der Voraussetzung, das es prinzipiell keine Möglichkeit gibt, Dokumente zu verstecken? Die Antwort lautet: man versteckt nichts, sondern simuliert nur. Das geht so:
Irgendeine staatliche Behörde oder irgendeine andere Organisation (z.B. eine Gruppe von Terroristen oder Künstlern) sammelt und verbreitet massenweise belanglose Nachrichten über Wetter, Straßenverkehr, Krötenwanderungen, Statistiken über die Beischlaffrequenz von nordnorwegischen Südpolbewohnern, geologische Daten über die Zusammensetzung des Ackerbodens im Hünsrück, Witze und Rätselspiele, Schminktipps für Spanienurlauber und was dergleichen höchst uninteressante Dinge mehr sind. So kommt recht schnell ein gigantischer Berg von Datenmüll zusammen. Unter diesen Datenmüll mischt man die geheim zu haltenden Informationen, indem man sie verschlüsselt in diesem Datenmüll einbaut. Anschließend versieht man diesen Datenberg mit einem Top-Secret-Label und versteckt ihn so, dass es Hackern mit etwas Mühe gelingen kann, den Datentresor zu knacken. Wenn es ihnen gelingt, was nicht zu einfach sein darf, aber auch nicht zu schwer, müssen sie in dem Datenmüll heraus finden, wonach sie eigentlich suchen.
Ja. Es erinnert an die Parabel von E.A. Poe, „Der entwendete Brief“: Ein Detektiv wird vom Pariser Polizeipräfekten um Hilfe bei der Suche nach einem Brief gebeten, der einer adligen Dame in erpresserischer Absicht gestohlen wurde. Der Täter ist zwar bekannt, trotzdem kann er nicht verhaftet werden, da eine Veröffentlichung oder Vernichtung des Dokuments großen Schaden anrichten würde. Eine Hausdurchsuchung der Polizei bleibt ohne Erfolg. Der Detektiv kommt durch eine Charakteranalyse des Täters zu dem sich als korrekt erweisenden Schluss, dass der Brief nicht etwa aufwändig versteckt ist, sondern offen in einer Ablage liegt und gerade deswegen übersehen wurde.
http://de.wikipedia.org/wiki/Der_entwendete_Brief
Das ist die Möglichkeit, in Abwandlung der sprichwörtlichen Nadel im Heuhaufen; nur dass man jetzt die Nadel im Nadelhaufen finden muss. Oder?
nettes, vom ansatz benachbartes tool: http://www.spammimic.com/
hallo,
grundsätzlich ist das wohl eine ganz gute und vernünftige strategie. man wird aber eventuell zwischen einzelpersonen und institutionen in der anwendbarkeit unterscheiden müssen.
für mich selber fahre ich diese strategie auf facebook schon eine ganze weile, in dem ich versuche bewusst auch falsche informationen zwischen die richtigen zu mischen. das ist kein problem denn ich weiß ja im allgemeinenn ganz gut was richtig und falsch ist.
schwieriger wird dieses verfahren wohl – wie zu eingangs schon richtig bemerkt – bei größeren strukturen und institutionen. denn letztlich muss man ja irgendwie kommunizieren können welches denn nun die relevanten informationen sind. das ist dann doch das eigentlich zu schützende geheimnis und das muss eben auch zugänglich sein, sonst ist die kommunikation in der struktur nicht mehr möglich.
mfg
fk
[…] einmal bei Kusanowsky habe ich eine recht interessante Notiz zum Verhältnis von Geheimnissen zu Datenmüll gefunden: […]
Kann es sein, dass es sinnvoll und nützlich ist (für wen?), dass ein allmählicher Übergang zu einer Welt ohne Geheimnisse stattfindet, und wie würde diese aussehen?
Nun, eine solche Welt würde der gegenwärtigen zum Verwechseln ähnlich sehen. Geheimniskrämerei verbirgt ja nichts, weil ohnehin irgendwann alles heraus gefunden wird. Geheimniskrämerei sorgt nur für Unklarheiten von Sachverhalten über einen Zeitraum hinweg. Geheimniskrämerei sorgt dafür, dass unterschiedliche Leute, zu unterschiedlichen Zeitpunkten, mit unterschiedlichen Zuständigkeiten unterschiedlich über unterschiedliche Angelegenheiten informiert sind. Diese Zeitdistanz der Unklarheit erschwert nur die Entscheidungsfindung in Organisationen, bzw. die Kommunikation zwischen ihnen: man denke dabei vor allem an Konkurrenzverhältnisse aller Art.
Eine Welt mit Geheimnis war die Alte Gesellschaft, die alle empirischen Unklarheiten auf den Willen Gottes zürückführte, über den Menschen aufgrund ihres Unvermögens nur schlecht informiert waren. Das ermöglichte bei Sinnkonflikten die Probleme auf einen noch unerkennbaren Willen Gottes zu verschieben; und die Maßnahme bestand gewöhnlich in der Intensivierung der eigenen Frömmigkeit: Gebete, Bußen, Beichten und die aufmerksame Deutung von Zeichen, die über den göttlichen Willen Auskunft geben.
Diese Problemverschiebung und die Maßnahmen der Frömmigkeit werden in der modernen Gesellschaft über Meinungsfreiheit und über Kritik hergestellt: Widersprüchliche Sachverhalten werden festgestellt, der Widerspruch wird zum Anlass genommen, eine Entscheidung zu treffen oder auch nicht. Und dann vergeht Zeit, bis jemand eine andere Meinung äußert und eine andere Entscheidung trifft. Um dieses Verschiebungsgeschehen prinzipiell unlösbarer Probleme unproblematisch zu gestalten, werden Verschwiegenheitsrechte aller Art eingeräumt und ausgenutzt. Das führt nicht zu einer Welt mit Geheimnissen, sondern nur dazu, dass nur selten in entscheidenden Punkten Klarheit ermittelbar ist. Das erschwert die Konkurrenz, gerade auch deshalb, weil die Konkurrenz von gleichen Maßnhamen Gebrauch macht.
Die Welt wird auf diese Weise nicht geheimnisvoll, sondern nur schwer ertäglich, weil das Affenrennen um Verheimlichung und Aufdeckung immer wieder von vorne anfängt.
Daraus könnte man den Schluss, dass, wenn die Zeitspanne zwischen Verheimlichung und Aufdeckung immer kürzer wird, man es gleich unterlässt, die Aufdeckung zu verhindern und stattdessen anfängt, die Aufdeckung zu motivieren, aber so, dass der, der etwas findet, längere Zeit darüber nachdenken muss, wonach er eigentlich gesucht hat.
Sehr hilfreich, diese Überlegung.
Eine Ergänzung: Der mir zur Unterscheidung oben fehlende Begriff für das „Geheimnis“ aus alter Zeit lautet Mysterium.
Dies leitet dazu über, dass das Mystery-Genre von dem Dualismus zwischen aufdeckbarem Geheimnis (dem Thema des Vorgänger-Genres Krimi) und dem Unerklärlichen, Transzendenten lebt. Indem man den Glauben aufrecht erhält, dass etwas Transzendentes weiterbesteht, und sei es nur die übermächtige Spionagestruktur, der allwissende, allsehende Big Brother, kann man Leute zur Anerkennung von Machtverhältnissen motivieren, wie es früher nur Priester vermochten.
Erst indem der Aufdeckungsversuch als sinnlos aufgegeben wird, wird das Geheimnis in seiner ursprünglichen Form, dem Mysterium, wieder errichtet.
man schreibe eine geistes- oder sozialwissenschaftliche Promotionsschrift und zitiere korrekt – perfekte Tarnung für jegliche Botschaften
Es geht ja nicht nur darum, ein Geheimnis zu bewahren, sondern überhaupt darum, ein Geheimnis haben zu können. Z.B. konnte man früher auf die Frage „Wo warst du?“ antworten: „Das ist mein Geheimnis.“ Solche Geheimnisse gäbe es künftig gar nicht mehr. Am Ende bleibt aber immer noch der Bereich, in den Überwacher letztlich vordringen möchten, an dem sie aber leicht scheitern, nämlich die Gedanken: „Was denkst du?“ Das wurde immer schon zum geringsten Teil dokumentiert und zum größten Teil inwendig für sich als Geheimnis behalten, sogar unter Eheleuten. Das Mysterium bleibt dadurch – ganz wie „Erbloggtes“ es definiert – der Mensch selbst, wo man jeden Aufdeckungsversuch letztlich an irgendeinem Punkt abbrechen muss. Aus Staatssicht ist das Mysterium der politische Feind, an dem immer etwas im Dunklen bleibt – weswegen man ihn im Zweifelsfall ad infinitum auf Guantanamo festsetzt (da hat der Staat ja sozusagen en gros vor dem rätselhaften Inneren kapituliert) oder in anderer Weise „unschädlich“ macht. In Machthaber-Staaten bringt einen daher nichts mehr in Gefahr, als ein Mysterium zu sein bzw. ein Geheimnis zu haben, denn das könnte ja der Mantel der Feindschaft sein. Das Heuhaufen-Versteck ist daher insofern kein Versteck, als es offenbart, dass der Betreffende ein Geheimnis hat. Das muss ja etwas Böses sein, sonst müsste er es ja nicht verstecken. Oder ganz wie man es so tönen hört: „Wer nichts zu verstecken hat, hat durch Überwachung auch nichts zu befürchten.“ Am Ende bleibt nur eins, was defintiv schwer zu deuten ist: Schweigen oder noch besser „reden, ohne etwas zu sagen“. Die beste Fassade wäre harmloses Geschwätz in Tateinheit mit eisernem Verschweigen der wirklichen Gedanken. Oder man führt ein Tagebuch auf einem verschlüsselten und verpassworteten Rechner ohne Netzanschluss, den man dann von Zeit zu Zeit physisch weiterreicht an einen kleinen Kreis Auserwählter.
Verschweigen wirklicher Gedanken?
„Wirkliche Gedanken“ 😉 Ja, was ist denn das?! Gemeint sind natürlich die wirklichen Absichten einerseits, wie man sie z.B. in Verhandlungen nicht artikuliert, andererseits die Überzeugungen und Meinungen, die man nicht äußert, um sie stattdessen bewusst zu kaschieren oder eben zu verbergen. Gegen den Ansatz, Sicherheit vor Verbrechen durch Totalität der Prävention zu erreichen, wird übrigens seitens der Schuldlosen vor allem angeführt, dass man dann nicht mehr frei seine „wirklichen Gedanken“ äußern würde. Ich nenne das den „Mormonisierungseffekt“ der Entprivatisierung – man schützt sich vor dem Verdächtigwerden und dem Ausgeschlossenwerden, indem man sich betont anständig bzw. durchschnittlich „kleidet“.
Die Autentizitätsfrage, die du mit deiner Rückfrage aufwirfst, ist aber trotzdem der Punkt, der Psychologie, Kognitionswissenschaft und Soziologen nicht ruhen lässt: nämlich ob wir überhaupt jemals „wirkliche Gedanken“ äußern und wenn ja, wann denn und woran sie erkennbar wären. So sublim muss aber kein Überwacher denken. Er sucht die „Schläfer“, Tatplaner, Tatfinanzierer und sonstigen Staatsrisiken in Menschengestalt näherungsweise zu detektieren – in Zweifelsfällen kommen manuelle Methoden zum Einsatz, z.B. die gehemnisbrechenden Entschlüsselungstechnologien namens „Waterboarding“, Isolationshaft etc.. Von daher kann das böswillige Aufschichten eines Heuhaufens bereits als anarchistische Aktion gewertet werden, die per se eine wahre Absicht zu vermuten nahelegt. Abgesehen davon verlieren Heuhaufen ja technologisch gerade ihre Intransparenz, weswegen die Behörden so viel Heu wie möglich in ihre Datenscheunen einlagern. Da gibt es eine kleine Firma in Chemnitz, die das Durchsuchen von Datenbeständen um 10³ beschleunigt, also stundenlanges Großrechnersuchen auf Sekunden herunterbringt: „Oracles Exadata, das Geschwindigkeits-Flaggschiff des Konzerns, wird durch den Einsatz von dimensio um bis zu 3.000 Mal schneller …“ ( http://www.dimensio-informatics.com/index.html )
Das einzige Problem, dass Staatsschützer nicht bewältigen könnten und das sie daher unbedingt ständig zu verhindern versuchen (dies ist sogar der Kern ihrer Aufgabe), ist, einer Masse von Aufrührern gegenüberzustehen. Solange es nur eine Nadel ist, die gesucht wird, ist das Problem eben durch Auffinden der Nadel zu erledigen. Doch alle die Überwachungssysteme gehen von der Prämisse aus, dass man letztlich nur einzelne finden muss, während das Heu harmlos ist. Es geht also nur um die Gestalten an den äußersten Ränder der Gauss’schen Glockenkurve, die dankenswerterweise sich klar von den Mittenwerten der Glockenkurve unterscheiden. Je mehr aber auch die Mittenwerten riskante Persönlichkeiten enthalten, desto schwieriger wird die Arbeit für die Überwacher. Genau dahin gibt es schon einen gewissen Trend. Schon bei einem FAZ-Redakteur wie Schirrmacher müsste die NSA sich fragen, ob er eine Gefahr für die politische Volksgesundheit darstellt. Sollte sich aber in den USA eine Mehrheit für Verkleinerung, Begrenzung und direkten demokratischen Kontrolle der NSA finden, können die Überwacher ihre Pfründe nicht mehr durch Überwachung retten. Oder anders gesagt: Letztlich geht es darum, politische Minderheiten klein zu halten, dann kann der politische Karren in den USA so ungehindert weiter rollen wie je. Schweigen und Verbergen schützt vor Durchschautwerden, kann aber in der Wirkung Komplizenschaft mit den Überwachern bedeuten, denn es geht ja darum, Aufrührer zum Schweigen zu bringen bzw. ihre Reichweite aufs Minimum zu beschränken – die politisch freie Öffentlichkeit zu beschädigen, das ist ein strategisches Ziel der ausufernden Bevölkerungsüberwachung im Netz. Und vielleicht das wichtigste Ziel überhaupt.
Man müsste aus verschiedenen Heuhaufen ein Labyrinth herstellen.
Vielleicht könnte man sogar mit Algorithmen dieses Labyrinth erst durch die Feststellung von Suchvorgängen erzeugen? Wer anfängt zu suchen schaltet Funktionen frei, durch die das Labyrinth aufgrund einer Charakteristik des Suchers entsteht.
„Wo früher Mauern, Torwächter und mangelnde Mittel den Zugang begrenzten, erfüllt in der digitalen Sphäre die Datenflut diese Funktion. Für die Zugänglichkeit spielt es kaum eine Rolle, ob eine Nadel im Tresor oder im Heuhaufen verborgen ist.“
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/schriftsteller-als-netzveraechter-vom-genre-der-besserhalbwisserei-12598201.html
Ich gebe gerne zu, dass es schwierig geworden ist, Geheimnisse zu behalten. Aber ich sehe nicht, warum es viel einfacher geworden sein soll, Geheimnisse aufzudecken.
Die NSA steuert mit ihrer paranoiden Suche auf einen Daten-GAU zu.
Einen solche GAU könnte man sich so vorstellen:
Was passiert, wenn ein Teil einer Gruppe von Künstlern anfängt, einen Terrorverdacht auf sich zu ziehen, indem dieser Teil verdächtige Kommunikation streut und ein anderer Teil dieser Gruppe davon öffentlich berichtet, aber eben so, dass ein paranoischer Beobachter aufgrund einer Datenflut keine genau Zuordnung vornehmen kann? Denn es ist ja noch kein Verbrechen, e-Mails zu schreiben, mit denen man sich für einen unerreichbaren Lauscher verdächtig machen könnte. Auch ist es kein Verbrechen, sich Zutaten für Bombenbau, sofern sie frei verkäuflich sind, zu erwerben. Und es ist kein Verbrechen, darüber zu berichten, dass es sich um eine Kunstaktion handelt.
Und von dieser Möglichkeit können nicht nur Künstlergruppen Gebrauch machen, sondern auch Terroristengruppen.
Ich gebe zu, dass dafür etwas Übung und Erfahrung nötig ist, ich sehe aber nicht, was Künstler oder Terroristen davon abhalten könnte, solche Erfahrungen zu machen.
Die Überwachung erledigt sich doch in diesem Sinne von selbst. Denn schon die Ausgangslage, daß jeder überwacht werden müsse, weil jeder potentiell verdächtig ist oder werden kann, heißt ja, daß keiner unverdächtig ist, also in Konsequenz jeder ein möglicher Terrorist. Dann ist keiner mehr kein möglicher Terrorist, also ist der – schwallader, schwallader – unmarked space leer. Und wenn der leer ist, dann gibt’s streng nach – schwallader, schwallader schwallader, schwallader schwallader, schwallader schwallader, schwallader-hoch-3 – George Spencer Brown auch nix Markiertes mehr.
Alle sind potentielle Terroristen => keiner ist potentieller Terrorist.
Du solltest mal beim Innenministerium anrufen und denen das sagen. Das ist wichtig, nicht vergessen.