Die Autorität der Quelle
von Kusanowsky
Das erste, was sich für den Buchdruck als Verbreitungsmedium ergab, war die Herausbildung einer „Autorität der Quelle“, da sich durch die Unterbrechung der Retroreferenz die Überprüfung von Sachverhalten nur durch das Dokument als die zu beurteilende Sache ergab. Entsprechend war die Sachreferenz der Information immer auch von der Kenntnis abhängig, von wem ein Dokument angefertigt wurde, denn nur wer darüber informiert war, konnte die Absicht der Mitteilung mit berücksichtigen und auf die Kommunikation reagieren, weil die „Autorität der Quelle“ entweder noch ausreichte oder schon nicht mehr den Erwartungen eines Lesers genügte. Die Dokumentform war wie kaum ein anderes Verfahren zur Reproduktion von Kommunikation ideal geeignet, die soziale Realität der Kommunikation – deren Bedingung schon längst die im Raum verteilten Menschenkörper war – zu individualisieren, worauf dann auch innerhalb einer Subjektphilosphie reagiert werden konnte. Durch die Individualisierung konnte das Subjekt als Träger und Verursacher von Handlung, das Dokument als Überträger der Kommunikation in Erscheinung treten mitsamt aller Erwartungen, die sich auf die Interessen der Beteiligten richteten oder – ganz allgemein formuliert – auf die Identifizierung von Habitualisierungen wie Rhetorik, Einfluß, Macht, Kompetenz und dergleichen mehr.
Auch für das Internet kann man immer noch diese Gewohneit bemerken, dass nicht so sehr das, was geschrieben wird, für die Weiterverwendung relevant ist, sondern dass noch auf Autorität bestanden wird, aller längst entfesselten Manipulationsmöglichkeiten zum Trotz. Tatsächlich aber wird man bei genauerer Betrachtung feststellen, dass allein das technische Funktionieren vernetzter Computer die Sachdimension der Kommunikation gewährleistet, insofern nur binäre Schaltoperationen als das einzige verbleiben, über das sachlich noch Gewissheit behauptet werden kann. In jeder anderen Hinsicht aber kann man von einer prinzipiellen Möglichkeit der ständigen Entkopplung von Kontexten ausgehen, die eine permanente Verschiebung von Rekontextualisierungen nach sich ziehen. Man hat eigentlich keine Möglichkeit mehr, in der Sachdimension noch „die selbe Information“ bemerken zu können. Das enorme Tempo der Zustandsänderungen in den Datennetzen hat längst dazu geführt, dass ein beliebiger Datensatz so schnell neu kontextiert wird, dass sein Informationswert trotz physikalischer Identität stets ein anderer ist. Insofern bleibt wenigstens die binäre Logik als identitätsstabilisierende Form erhalten.
Die „Autorität der Quelle“ kann auf diese Weise nichts mehr zur Urteilsildung innerhalb der Sachdimension beitragen, weil – so könnte man sagen – innerhalb der Sachdimension nur noch eines mit Gewissheit erkennt werden kann: 1 oder 0. Aber aufgrund der entfesselten Manipulationsmöglichkeiten kann die Berurteilung von Sachverhalten nicht mehr durch die Dokumentform vorgenommen werden. Und sofern Habitualisierungen, die ja auch nichts anderes sind als dokumentierte Sachverhalte sozialer Positionierung, ebenfalls der Manipulation unterzogen werden können, bleibt von einer „Autorität der Quelle“ nicht mehr viel übrig. Vielmehr kann man beobachten, dass auch die Autorität in die Simulation von Autorität überführt werden muss. Dabei geht es dann aber nicht mehr um die Sicherstellung von Glaubwürdigkeit, sondern um die Partzipation an Potenzialen zur Aufmerksamkeitssteigerung. (Weiter)
„Die „Autorität der Quelle“ kann auf diese Weise nichts mehr zur Urteilsildung innerhalb der Sachdimension beitragen“
Das stimmt. Da innerhalb der digitalen Sachdimension ein intakter (und bei Repdroduktion nicht korrumpierter) Quellcode die conditio sine qua non für das reibungslose Funktionieren jener Algorithmen ist, die an der Oberfläche die Manipulierbarkeit zulassen, erscheint wenigstens die Dokumentation des Quellcodes noch als höchste Autorität. Aber auch diese Dokumentation lässt sich durch dauerprozessierbare Manipulation noch simulieren.
http://www.arte.tv/de/Videos-auf-ARTE-TV/2151166,CmC=1484404.html
„Da innerhalb der digitalen Sachdimension ein intakter (und bei Repdroduktion nicht korrumpierter) Quellcode die conditio sine qua non für das reibungslose Funktionieren jener Algorithmen ist, die an der Oberfläche die Manipulierbarkeit zulassen, erscheint wenigstens die Dokumentation des Quellcodes noch als höchste Autorität. “
Und nicht nur dort. Man denke nur im Medizinischen Bereich an Krebs, dessen Entstehung in Zusammenhang gebracht wird mit der kopierfehlerbedingten Beschädigung einer intakt dokumentierten Erbinformation, einem source code, einem Urtext. Ist im Bereich der Eugenik für deren Vertreter Manipulation bereits als Lösung und nicht mehr als Problem vorstellbar und die Autorität des Urtextes bereits gefallen, so ließe sich für die Zukunft auch an eine Gruppierung von Krebsbefürwortern denken, die dessen Auswüche nicht länger beklagen sondern vehement vorantreiben.
@ Der Buhmann: Manipulation war schon immer verboten und doch stets möglich. Aber ihre Ausübung, die Verfügbarmachung ihrer Möglichkeiten für alle, geht einher mit der Unterdrückung oder Einschränkung der Manipulationsmöglichen anderer. So kommt es zur Selbststabilisierung von Simulationen – wenn ich den Autor hier sachlich richtig verstehe.
„Aber ihre Ausübung, die Verfügbarmachung ihrer Möglichkeiten für alle, geht einher mit der Unterdrückung oder Einschränkung der Manipulationsmöglichen anderer. So kommt es zur Selbststabilisierung von Simulationen – wenn ich den Autor hier sachlich richtig verstehe.“
efdarts.tarde These scheint ja nahezulegen, daß Manipulation sich betrachten ließe als eine Spielart von Gewalt, welche, so etwa auch die These Walter Benjamins in seinem bekannten Aufsatz „Zur Kritik der Gewalt“ nie verboten war sondern staatlichlicherseits monopolisiert. Staatsgewalt ist jene Gewalt, die Gewalt im Staat verhindert.
Wäre analog Manipulation als jene Strategie zu begreifen, mit deren Hilfe sich Manipulation gerade verhindern läßt?
So wie etwa Patienten, die unter dem Borderline Syndrom leiden, verstümmelnde Selbstmanipulationen nicht vornehmen, um sich zu verlieren und ihrer physichisch-phsychischen Identitätsempfindung verlustig zu gehen, sondern um im Gegenteil sich ihrer selbst un der Verfügungsgewalt über ein unbenennbares Ich überhaupt erst zu versichern??
@efdart.tarde „wenn ich den Autor hier sachlich richtig verstehe“ – so in etwa, wie könnte es anders sein? Es geht um die Einschränkung von Manipulation durch massenmediale Verfügbarkeit von Manipulationsmethoden. Manipulation verschwindet nicht, sondern wird kontingent. Wenigstens verliert Manipulation so ihre Fähigkeit zur Skanadalisierung. Bemerkt man Manipulation könnte man aus diesem Grunde sich der Fortsetzung entziehen, oder aus dem selben Grunde an ihrer Fortsetzung interessiert sein. Ein Beispiel:
Ein Kommentator dieses Blogs bombardierte mich stalkingmäßig mit höchst dämlichen Kommentaren. Zunächst hatte ich sie einfach gelöscht. Danach bin ich dazu übergegangen, seine Kommentare zu verändern. Das hatte ihn zunächst entmutigt. Jetzt strengt er sich etwas an, weil er merkt, dass – will er weiter Stalking betreiben – seine Vorgehensweise raffinierter gestalten muss. Er zeigt sich an der Fortsetzung interessiert, gerade weil Manipulation geschieht. Interessant übrigens, dass man die pathologische Motivation bemerkt: jeder andere, dessen Kommentare ständig gelöscht oder verändert werden, würde sein Interesse auf etwas anderes richten.
Woran aber könnte man ein ernsthaftes Interesse an der Fortsetzung der Kommunikation durch Beobachtung von Manipulation erkennen? Nämlich dann, wenn ein Kommentator auf seinem Blog selbst Manipulationen vornimmt oder auf Manipulation reagiert. Auf diese Weise wird Manipulation performativ als Argumentation anschließbar und dadurch eingeschränkt.
[…] wird gewiss noch etwas dauern, bis das Spannungsverhältnis zwischen Autorschaft, Autorität und Authentizität aus entwickelten Empörungsroutinen in eine Beobachtung zweiter Ordnung […]