Differentia

Zum Unterschied von Massenmedien und Internet

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Es gibt viele verschiedene Möglichkeiten, die Charakteristik von Massenmedien zu beschreiben; für die Markierung eines Unterschieds zum Internet könnte man von der Überlegung ausgehen, dass für eine Strukturbildung der Massenmedien zunächst die Kenntnis von Quantitäten durch das Medium selbst verbreitet werden muss. Diese Quanitäten beziehen sich auf Einschaltquoten, Druckauflagen, Senderreichweiten, Verkaufszahlen, Zielgruppen, Bestsellerlisten, Hitparaden und dergleichen mehr. Solche Zahlen müssen ungewöhnliche Aufmerksamkeit auf sich ziehen, indem sie in der Form von Dokumenten auf Unterschiede verweisen, die durch andere Dokumente in Erscheinung treten können. Dieser Zurückverweisungsprozess von Dokumenten auf andere Dokumente kann aber durch Reflexion nicht ohne weiteres mitkontrolliert werden.
Ein weiteres Strukturbildungsmerkmal ist die Zurechnung auf Subjekte. Damit sind nicht nur Personen gemeint, sondern Unternehmen genauso wie Staaten. Durch diese Zurechnung können Strukturen entfaltet werden, die als handelnde Einheiten erschlossen werden und als Gegenstand derjenigen Aussagen genommen werden können, die durch diese handelnden Subjekte in Erscheinung treten. Schließlich muss durch Massenmedium ein Zeitunterschied der Differenz von Mitteilung und Information hergestellt werden können, um Neuigkeitswerte einer solchen Differenz erfahrbar zu machen.
Damit wären wenigstens grob die Bedingung der Unmöglichkeit einer vollständigen Selbstbeschreibung der modernen Gesellschaft formuliert, sofern die Einsicht gelten kann, dass alles, was wir über die Welt wissen, durch Massenmedien wissen, die Dokumente kopieren und verbreiten und durch dieses Verfahren auch Manipulation von Dokumenten erfahrbar macht. Dadurch entsteht eine fortwährende Selbststabilisierung eines Systems, das vom Modus der Unvollständigkeit jeder Selbstbeschreibung der Gesellschaft zehrt, insofern es nicht aufhört, vielfache und verschiedene Beschreibungen der selben Dokumentform durch die Massenmedien zirkulieren und konkurrieren zu lassen.
Mit dem Internet sieht die Sache etwas anders aus. Es nutzt zwar all die Zeichen, die auch das System der Massenmedien einsetzt, nämlich Bild-, Schrift- und Tondokumente in hoch komplexen Kombinationen. Es ermöglicht auch Nachrichten, Werbung, Unterhaltung, die dann auch den Asymmetrien und Strukturen der Massenmedien unterliegen und insofern kann das Internet auch als Massenmedium angesehen werden, aber darin erschöpfen nicht alle seine Möglichkeiten. Es kann selbst dazu beitragen, diese Ressourcen zugriffsfähig zu halten, und es ist auch nicht allein dadurch bestimmt, dass es die klassischen Internetdienste zur Verfügung stellt.
Man könnte vermuten, dass das Internet sich zu der paradoxen Form eines „privaten Massenmediums“ entwickelt hat, das es allen gestattet, Dokumente beliebiger Art mit nur geringen Aufwand in das Internet einzustellen. Die virtuellen Orte dieses Einstellens sind Websites, die Adressen haben, die sich direkt ansteuern lassen bzw. über die Hypertextstruktur des Webs erreicht werden können. Diese Struktur ermöglicht es, dass Dokumente durch Hyperlinks Anweisungen enthalten, mittels derer sich zu anderen Dokumenten wechseln lässt, die ebenfalls solche Anweisungen enthalten. Diese in die Dokumente eingestreuten Umlenk- oder Schaltstellen sind es, die den Netzcharakter des Webs ausmachen. Man könnte sagen, dass das Internet auf einer Ebene erster Ordnung arbiträr und massenhaft Dokumente in eine Verweisungsstruktur einhängt, die auf der Ebene zweiter Ordnung virtuelle Sinnverweisungschancen offeriert. Aber auf dieser zweiten Ordnungsebene werden die Dokumente auf zweierlei Weise behandelbar: nämlich erstens deskriptiv als Sachform die auf andere Sachformen verweist, und zweitens als Sozialform, die auf eine Konnektivität von Operationen verweist, die lediglich performativ erzeugt werden und nur als Simulation von Dokumenten weiter prozessiert werden können.
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Die Simulation von Text- und Bilddokumenten im WWW 2

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Tatsächlich beginnt die Beobachtung von Schrift unter den Bedingungen des Hypertextes Eigenschaften und Aspekte in sich aufzunehmen, die man traditionell Bildern zugeordnet hat. So ist das Lesen und Schreiben im World Wide Web von der visuellen Gestaltung, Performanz und ästhetischen Organisation bildhaft arrangierter Schriftzeichen nicht zu trennen. Ein Hypertext setzt sich aus fragmenntarisierten Texten zusammen, die durch Verschiebung auf andere Kontexte eine in sich sinnvolle Szene darstellen und zugleich signifikante Übergänge in andere Szenen und Kontexte anbieten, zu denen relevante Verweise bestehen. Die Situierung des Textes, die taktile Auszeichnung einzelner Zeichenkomplexe als anklickbare Links, die variabel gestaltbare Struktur des Texthintergrundes oder die Möglichkeiten, Buchstaben in Bewegung zu setzen und in graphische Szenen einzubetten – das alles sind Aspekte dessen, was hier zusammenfassend als Simulation von Textdokumenten bezeichnet wird.
Mit einer an das dokumentarische Beobachtungschema orientierten Unterscheidung von Hypertextualität und dem Virtualität könnte man außerdem die Möglichkeit einer medienspezifischen Transformation im Arrangement der Zeichen kaum noch verstehen. Einer solchen Unterscheidung zufolge zeichnet sich das Hypertextuelle durch den Vorrang der Schrift aus und das Virtuelle durch die Dominanz von Bildern. Mit der Enfaltung des World Wide Web entstehen aber zwischen Schrift und Bild komplexe Verflechtungsverhältnisse, die möglicherweise immer noch – gerade durch ihre konkurrente Koexistenz – als unterschiedliche Zeichensysteme erkennbar bleiben, indem sie miteinander um Aufmerksamkeitsrelevanz im Simulationsraum des vernetzten Computers kämpfen und so in ihren internen Basisbestimmungen unverändert bleiben. Natürlich ist dabei der Unterschied zwischen Hypertextualität und Virtualität nicht gleichzusetzen mit dem Unterschied von Schrift und Bildern. Anderseits aber bleibt doch festzustellen, dass selbst in Fällen, in denen Bilder etwa in Multimediapräsentationen als Zeichen fungieren, diese so beobachtbaren Zeichen immer noch als Zeichen erkennbar bleiben.
Auffällig ist dabei nur, dass die unter analogen Medienbedingungen eingespielte Evidenz der traditionellen Bedeutung von Begriffen wie Bild und Schrift relativert werden müssen, um die sich vollziehenden Veränderungen erklärbar machen zu können. Denn durch die Simulationsverfahren entstehenden Möglichkeiten der Verbildlichung von Schrift kommt noch eine zweite, die umgekehrte Möglichkeit in Betracht, die der Verschriftlichung des Bildes.
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