Differentia

Netzwerke und dyadische Systeme

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Netzwerke bestehen nicht aus den beteiligten Systemen, sondern aus den intermediären Bindungen, das sind gleichsam die Kanten oder Dyaden eines Netzwerks. Die zur Analyse tauglichen Netzwerkmodelle rekonstruieren mithin einen Zusammenhang von sozialen Beziehungen, die durch die Möglichkeit von Netzwerken zugleich durch sie repräsentiert werden. Netzwerke sind deshalb Interaktionsstrukturen, an denen immer schon eine Mehrzahl von Knoten beteiligt sind. Netzwerke sind die Strukturen sozialer Beziehungen, innerhalb derer Kommunikationen über Interaktionen ablaufen. Ohne die Kanten wäre die typische Struktur eines Netzwerkes nicht zu erkennen. Dementsprechend sollte man eher die Kanten oder Dyaden als Grundelement von Netzwerken begreifen – nicht die Knoten oder Akteure. Hinter jedem Knoten steht dabei selbst ein System. Andernfalls könnte das Netzwerk strukturell nicht an diesem Knoten anknüpfen. Solche Knoten können Personen sein, deren Einheit durch die Selbstreferenz des psychischen Systems gesichert ist. Oder es handelt sich um Organisationen, die ihre Autopoiesis mittels Entscheidungen und formalisierter Mitgliedschaft realisieren. Diese Systeme stellen den Netzwerken ihre Eigenkomplexität zur Verfügung, so kommt es zur Interpenetration und Co-Evolution zwischen Netzwerken und den in ihnen verknüpften Systemen. Auf keinen Fall aber können Trivialmaschinen wie etwa Computer zum Knotenpunkt solcher Netzwerke werden, sondern können lediglich als Adressen fungieren, die von selbstreferenziellen Systemen ansprechbar gemacht werden können.
Die Bindungen zwischen Knoten könnte man theoretisch in der Weise modellieren, indem man sie als strukturelle Kopplungen zwischen Systemen auffasst. Der Begriff „strukturelle Kopplung“ scheint dann jedoch zu statisch zu wirken, um die Amorphität und die Dynamik von Netzwerken zu begreifen. Wenn man die Kopplung zwischen Knoten in Systemen als direkt und nahezu mechanisch konzipiert, kann man nicht die Eigengesetzlichkeit der sich bewegenden Komplextät mit erfassen.
Schaut man sich aber empirisch die Funktionsweise von Netzwerken genauer an, wird schnell klar, dass Knoten nicht direkt aneinander gekoppelt werden können. Zwischen psychischen Systemen gibt es keine Berührungspunkte. Psychische Systeme bleiben füreinander immer undurchschaubar und operativ getrennt voneinander. Und die Differenz zwischen den psychischen Systemen muss von Kommunikation überbrückt werden. Kommunikation liegt also auf einer Ebene über den an ihr beteiligten psychischen Systemen. Sie lässt sich nicht auf psychische Prozesse reduzieren und bildet eigene Strukturen aus, die den Fortgang der Kommunikation sichern. Zwei aufeinander treffende Systeme bleiben für einander immer undurchschaubar. Die Kommunikation zwischen ihnen bleibt tentativ und auf Vermutungen angewiesen. Dabei ist es unerheblich, ob es sich bei den Beteiligten um psychische oder soziale Systeme handelt, um Menschen oder um Unternehmen. Bei diesem Aufeinandertreffen entsteht fortlaufend Neues; die Kommunikation bildet emergente Strukturen aus, die sich nicht auf die internen Prozesse der beteiligten Systeme zurückführen lassen. Diese Strukturen dienen dazu, erfolgreiche Kommunikation wahrscheinlich zu machen. Deswegen besteht die Kopplung immer in einem Aufbau von emergenten Strukturen zwischen den Knoten. So kommt es zur Ausbildung eines dyadischen Kommunikationssystems, in dem die beteiligten Systeme zwar nicht aufgehen, das aber doch deren Freiheitsgrade erheblich einschränkt. Sie müssen wie psychische Systeme in einen Interaktionsprozess eintreten, in dem etwas Neues entsteht, das man als dyadisches System bezeichnen kann.
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Simulation durch Ausdifferenzierung von Netzwerken

Ein wichtige Konsequenz der Gesellschaft einer funktionalen Differenzierung liegt darin, dass sie ihre Strukturbildung durch die Dokumentform zuerst in die Sachdimension verlegt. Individuen werden zwar in Abhängigkeit von ihrem funktionalen Beitrag zur Fortsetzbarkeit des Systemgeschehens einbezogen, ansonsten verhalten sich soziale Systeme gegen Individuen indifferent. Das legt den Gedanken nahe, dass eine genauere Spezifikation der Strukturmerkmale erforderlich ist, um Netzwerkbildungen wahrscheinlich zu machen, insbesondere dann, wenn man bemerkt, dass Netzwerkbildung ein charakteristisches Merkmal „der nächsten Gesellschaft“ ist. Denn die Bildung von Netzwerken ist nicht in der Sachdimension festgelegt, sondern in der Sozialdimension. Netzwerke kombinieren Adressen aller Art: nicht nur Adressen von Personen und Organisationen, sondern machen alles, was dokumentierbar ist durch fortlaufende Adressierung simulierbar, indem eine Differenz von erreichbar und unerreichbar in einen selektives Gedächtnis kopiert wird, das die strukturelle Koppelung auf Dauer stellt und das kommunikative Geschehen in eine selbstreferenzielle Virtualität der permanenten Simulation überführt.
Mit der Ausdifferenzierung von Netzwerken werden soziale Adressierungsleistungen für den strukturierten Fortgang eines sozialen Geschehens zentral gestellt. Durch Netzwerke liegt die Überlegung nahe, dass soziale Adressierungsleistungen aus den Bedingungen räumlicher Nähe entlassen werden und die Diaspora der Körper selbst zur Voraussetzung der Teilnahme an Kommunikation wird. Aber das gilt allgemein für die Adressiebarkeit von Dokumenten aller Art: Nicht die Versammlung, sondern die Verstreuung im Raum ist Motivationsbedingung für die Fortsetzbarkeit der Kommunikation.
Differenzieren sich solchermaßen Netzwerke heraus, so werden ihre Entstehungs- und Reproduktionsbedingungen erst durch soziale Systeme relevant, welche eine räumliche Dekontextualisierung und daher potenziell globale Operationsweise von Netzwerken erst ermöglichen. Netzwerke kombinieren ihre Elemente, indem sie Adressen miteinander verknüpfen, und gestalten die sachlichen Möglichkeiten, die durch die permanente Ansprechbarkeit von Adressen entstehen, zu einer Simulation von Gegenwärtigkeit mit weitreichenden Folgen für die Ermittlung von Realitätsgewissheit.
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