Google Street View – Exkurs: Privatheit und Öffentlichkeit 5
von Kusanowsky
Es ist eine gängige soziale Praxis sowohl Ansprüche auf Privatheit geltend zu machen als auch Ansprüche auf Privatheit zu bestreiten. Private Entscheidungen betreffen nämlich in den seltenen Fällen nur einen selbst, ob es um den Schulbesuch der Kinder geht, ums Autofahren oder um die Wahl einer geeigneten Kneipe – viele private Entscheidungen haben soziale Konsequenzen, weil nur innerhalb eines sozialen Kontextes Handlungsnotwendigkeiten eine Entscheidung erfordern. So kommt es, dass auch private Entscheidungen gelegentlich die Öffentlichkeit beschäftigen sollten, auch wenn nicht von vorneherein klar ist, was daraus folgt. Solche widerstreitenden Erfordernisse machen deutlich, dass die Grenzen des Privaten einerseits konstitutiv sind für das normative Selbstverständnis moderner Gesellschaften und andererseits notorisch umstritten, weil Ansprüche auf Normativität niemals „kostenlos“ – also paradoxiefrei – durchgesetzt werden können. Insofern ist die aktuelle Diskussion um Google Street View in einen allzubekannten Kontext eingebunden, der seit der Herausbildung der industrie-kapitalistischen Gesellschaft schon immer relevant war.
Grenzen des Privaten zu achten, kann Personen in ihrer grundsätzlichen Entscheidungsfreiheit schützen, darüber was sie enthüllen oder verhüllen möchten, selbst zu bestimmen. Andererseits birgt jedes Etikettieren von etwas als „privat“ die Gefahr der Dekontextualisierung dessen, wodurch Ansprüche auf Privatheit legitimiert werden können. Ansprüche auf Privatheit können nämlich regressiven oder progressiven Charakter annehmen, aber einen kontextunabhängige Entscheidung ist niemals möglich. Die Unterscheidung von privat/öffentlich kann deshalb als eine Leitunterscheidung aller politischen Angelegenheiten betrachtet werden. Ideengeschichtlich ist sie auf das römischen Recht, das im „Corpus Juris Civilis“ erstmals einen privaten und einen öffentlichen Bereich abgrenzt, zurückzuführen. Dieser einflussreiche Gesetzestext ist die Reaktion auf die Situation einer politischen Gemeinschaft, die bestimmen will, was die Kollektivöffentlichkeit betrifft und was nur die einzelnen Mitglieder als private Angelegenheit zu regeln haben. Nimmt man diese Ausgangssituation als Grund für diese Unterscheidung, so lässt sich daraus nicht sehr vielmehr als ein formales Verständnis gewinnen. Denn inhaltlich betrachtet unterliegt die Regelung dessen, was als privat und was als öffentlich zu betrachten ist, einer sozialen Grammatik, die variierende Attributionsregeln sowohl historisch als auch sachlichen kontextuiert.
Interessant für diesen Zusammenhang mag damit nur der Hinweis sein, dass die Grenzen von Privatheit und Öffentlichkeit, sofern sie nicht selten mit ungebrochener Gewissheit verteidigt wurden, schon immer in ihrer Kontingenz auf ihre Ungewissheit hin überprüft wurden. Zu denken wäre an inzwischen längst vergessene feministischen Diskussionen seit der Mitte des 20. Jahrhunderts, in den mit dem Slogan „das Private ist politisch“ bürgerliche Selbstverständlichkeiten erschüttert wurden. Die Frage nach dem normativen Eigenwert des Privaten wird also nicht erst in jüngster Zeit aufgeworfen, sondern dürfte schon im 19. Jahrundert entscheidende Bewegungen um soziale Distinktionsgewinne ausgelöst haben. Das mag auch schon vor 150 Jahren mit wahrgenommenen Gefährdungen zusammenhängen, man denke beispielsweise an die „Kommunistengefahr“ des 19. Jahrhunderts, die dazu beitrugen, dass das Thema routinemäßige Aufmerksamkeit erfuhr. Es zeigt sich freilich, dass die Vielzahl der Verwendungskontexte des Begriffs es gar nicht so einfach macht zu bestimmen, was das Private oder das Öffentliche denn sein soll und worauf sich ein normativer Anspruch auf Schutz beziehen kann.
Insofern ist die dämonische Macht, mit der Google dieses Thema wieder einmal aufwirft, gerade deshalb interessant, dass die Diskussion diesmal nicht selbst privatisiert, nicht in ein Reservat abgeschoben werden kann. Denn das Thema geht nicht nur bestimmte gesellschaftliche Schichten oder Gruppen etwas an, auch ist es nicht möglich, Entscheidungen darüber einem Expertengremium zu überlassen, und zwar deshalb nicht, weil prinzipiell niemand dem dämonischen Zugriff von Google entzogen ist. Entsprechend gibt es kaum eine Chance zur Abwälzung des Problems auf andere, um selbst schadlos davon zu kommen. Prinzipiell dürfte das auch für Google selbst gelten.
Grenzen des Privaten zu achten, kann Personen in ihrer grundsätzlichen Entscheidungsfreiheit schützen, darüber was sie enthüllen oder verhüllen möchten, selbst zu bestimmen. Andererseits birgt jedes Etikettieren von etwas als „privat“ die Gefahr der Dekontextualisierung dessen, wodurch Ansprüche auf Privatheit legitimiert werden können. Ansprüche auf Privatheit können nämlich regressiven oder progressiven Charakter annehmen, aber einen kontextunabhängige Entscheidung ist niemals möglich. Die Unterscheidung von privat/öffentlich kann deshalb als eine Leitunterscheidung aller politischen Angelegenheiten betrachtet werden. Ideengeschichtlich ist sie auf das römischen Recht, das im „Corpus Juris Civilis“ erstmals einen privaten und einen öffentlichen Bereich abgrenzt, zurückzuführen. Dieser einflussreiche Gesetzestext ist die Reaktion auf die Situation einer politischen Gemeinschaft, die bestimmen will, was die Kollektivöffentlichkeit betrifft und was nur die einzelnen Mitglieder als private Angelegenheit zu regeln haben. Nimmt man diese Ausgangssituation als Grund für diese Unterscheidung, so lässt sich daraus nicht sehr vielmehr als ein formales Verständnis gewinnen. Denn inhaltlich betrachtet unterliegt die Regelung dessen, was als privat und was als öffentlich zu betrachten ist, einer sozialen Grammatik, die variierende Attributionsregeln sowohl historisch als auch sachlichen kontextuiert.
Interessant für diesen Zusammenhang mag damit nur der Hinweis sein, dass die Grenzen von Privatheit und Öffentlichkeit, sofern sie nicht selten mit ungebrochener Gewissheit verteidigt wurden, schon immer in ihrer Kontingenz auf ihre Ungewissheit hin überprüft wurden. Zu denken wäre an inzwischen längst vergessene feministischen Diskussionen seit der Mitte des 20. Jahrhunderts, in den mit dem Slogan „das Private ist politisch“ bürgerliche Selbstverständlichkeiten erschüttert wurden. Die Frage nach dem normativen Eigenwert des Privaten wird also nicht erst in jüngster Zeit aufgeworfen, sondern dürfte schon im 19. Jahrundert entscheidende Bewegungen um soziale Distinktionsgewinne ausgelöst haben. Das mag auch schon vor 150 Jahren mit wahrgenommenen Gefährdungen zusammenhängen, man denke beispielsweise an die „Kommunistengefahr“ des 19. Jahrhunderts, die dazu beitrugen, dass das Thema routinemäßige Aufmerksamkeit erfuhr. Es zeigt sich freilich, dass die Vielzahl der Verwendungskontexte des Begriffs es gar nicht so einfach macht zu bestimmen, was das Private oder das Öffentliche denn sein soll und worauf sich ein normativer Anspruch auf Schutz beziehen kann.
Insofern ist die dämonische Macht, mit der Google dieses Thema wieder einmal aufwirft, gerade deshalb interessant, dass die Diskussion diesmal nicht selbst privatisiert, nicht in ein Reservat abgeschoben werden kann. Denn das Thema geht nicht nur bestimmte gesellschaftliche Schichten oder Gruppen etwas an, auch ist es nicht möglich, Entscheidungen darüber einem Expertengremium zu überlassen, und zwar deshalb nicht, weil prinzipiell niemand dem dämonischen Zugriff von Google entzogen ist. Entsprechend gibt es kaum eine Chance zur Abwälzung des Problems auf andere, um selbst schadlos davon zu kommen. Prinzipiell dürfte das auch für Google selbst gelten.
Technorati-Tags: Privat, öffentlich, Politik
[…] anders beurteilt werden müssten. Das bezieht sich auf soziale Unterscheidungsroutinen wie die Privatheit und Öffentlichkeit, Freiheit und Sicherheit, aber auch auf Privateigentum und Allgemeingut. Interessant an diesen […]
[…] Fortesetzung […]