Die Krise, die Erinnerungsarbeit und das Geldmonopol
von Kusanowsky
Krisen sind Lernsituationen. In solchen Situationen entscheidet sich, ob und was ein System gelernt hat. Lernen wiederum heißt im Prinzip „bereits gelernt haben“; heißt, sich nicht erinnern zu müssen, weil die Autopoiesis andernfalls in einem Verweisungsnetzwerk von Strukturkombinationen und Verknüpfungsmöglichkeiten bei ausreichender Komplexität kaum einen aussichtsreichen Weg des Weitermachens finden könnte. Eine Krisensituation ist ein Indikator dafür, ob ein Gedächtnis ausreichend funktioniert, dessen Funktion es ist, Vergesslichkeit sicher zu stellen.
Berücksichtigt man solche Überlegungen, dann gewinnt man einen ganz anderen Blick für die gegenwärtig ablaufende Krisendiskussion, die vollständig durchtränkt von Schreckensbildern aus der Vergangenheit ist: der Börsenkrach 1929, die Weltwirtschaftskrise Anfang der 30er Jahre, die Inflationsszeit, das Kesseltreiben durch den Aufstieg des Faschismus. Hinzu kommen Betrachtungen über jüngere Staatskrisen wie in Argentinien oder Russland. Entsprechende Vergleiche beziehen sich auf verstreut auffindbare Analysen und andersherum: Analysen verwenden Vergleiche, um mal die eine, mal die andere Meinung über das, was sich ohnehin ereignen wird, zu äußern. So kommt man zu dem überraschenden Ergebnis, dass offensichtlich nicht viel aus der Vergangenheit gelernt wurde. Überraschend ist diese Einschätzung aber nicht deshalb, da sie Anlass gäbe zu der Befürchtung, es könnten noch einmal alle traumatischen Erlebnisse wiederholt werden. Ausgerechnet diese Furcht zeigt den gegenwärtig beobachtbaren Mangel an Lernbereitschaft, weil doch eine Diagnose eigentlich etwas anderes beobachtbar macht: keine Staatskrisen, keine Faschisten, keine Kommunisten, keine Straßenkämpfe. Wer wollte denn widersprechen, wenn man behauptet, die Krise sei domestiziert?
Trotzdem scheinen aber anderslautende Befürchtungen als Erkenntnistreibstoff zu wirken. Doch solche Angstprojektionen lassen keinen Ausweg zu; Furcht, das wusste man schon in der Antike, ist in Krisenfällen kein guter Ratgeber. Und doch begegnet man der Furcht überall: Nicht nur in den Versuchen, das Spekulationsgeschäft mit gesetzlichen Verbotsmaßnahmen einzuschränken, überhaupt ist die etatistische Renaissance an den Glauben einer Mächtigkeit des Staates als fürsorglicher Aufpasser und Oberpolizist eine degenerative Erscheinung, die deshalb so abwegig erscheint, weil nichts so offensichtlich wird wie die Hilflosigkeit, mit der die Politik versucht, zu retten, was sie gar retten kann, weil sie selbst der Gefahr der Rettungsbedürftigkeit schutzlos ausgeliefert ist: Die europäischen Staaten versuchen, Europa zu retten – ja, wie ….? Wer schützt den Schutzmann?
Das Unterscheidungsprogramm von subjektiver Einschätzung auf der einen Seite und objektiver Lage auf der anderen funktioniert schon lange nicht mehr, weil die europäische Staatengemeinschaft als das Subjekt des Handelns sich auf sich selbst als ihr Objekt bezieht. Alle wirtschafts- und sozialhistorische Erinnerungsarbeit verdeckt nur Blick für das, was gegenwärtig geschieht. Dass man durch Erinnerungsarbeit versucht, die Fehler der Vergangenheit noch einmal durchzurechnen, ist gleichsam der Versuch einer verspäteten Wiedergutmachung, womit man aber gefahrläuft, unter der Hand die Schreckenserfahrungen zu wiederholen, weil auf diese Weise, das Argument nur schwer vermittelbar ist, dass die Zukunft eines Systems nicht in seiner Vergangheit liegt. Weil aber daraus keine Gewissheiten ableitbar sind, kann man niemals zu dem kommen, was bestenfalls möglich wäre, sondern nur zu dem, was schlimmstenfalls passieren kann, nämlich immer das, was gegenwärtig passiert.
Wie könnte man unter sochen Bedingungen, etwas anderes, also Kontingenz, erfolgreich besprechen und in Erwägung ziehen? Werden irgendwo Überlegungen zur Abschaffung der staatlichen Geldmonopols getroffen? Kann irgendjemand verstehen, dass, wenn Währungen sich unter der Bedingung einer Geldfreiheit auf den Märkten behaupten müssten, wie bei allen anderen Produkten auch, die Emittenten in die Situation kämen, die Versprechungen auch einzuhalten, die sie als Geldzeichen in Umlauf bringen? Solange Staaten Zahlungsversprechungen in Umlauf bringen, die sie nicht selbst einhalten können, sondern die Einhaltung allenfalls durch ihr Gewaltmonopol decken, solange wird dieses Gewaltmonopol am Ende einer Verschuldungsspirale immer dazu genutzt, eine Währung durch Verrechnung der Schulden mit Guthaben abrauchen zu lassen. Erst die Geldfreiheit stellt sicher, dass die Wirtschaft das übernimmt, woran die Staaten scheitern: sich selbstreferentiell zu verhalten, was nicht deshalb gelingt, obwohl die Wirtschaft schutzlos ist, sondern weil sie nur auf diese Weise sich selbst schutzlos ausliefert wäre. Jede liberale Marktideologie würde an diesen Konsequenzen zerbrechen.