Laufen, werfen, springen, dopen
von Kusanowsky
In soziologischen Theoriefindungsversuchen ist gelegentlich die Überlegung geäußert worden, dass die Attraktivität des Sports in der Inszenierung von Überschaubarkeiten liegt, wobei diese Attraktivität in einem Missverhältnis zur Komplexität einer funktional-differenzierten Gesellschaft steht. Wo sonst im Leben geht es um die Einfachheit einer klaren Urteilsbildung, die über gewinnen und verlieren eindeutig entscheiden kann?
So abwegig sind diese Überlegungen nicht, da man ja erkennen kann, dass der Sport einen Sozialbereich aufspannt, der Kausalitäten eindeutig beobachtbar macht, was deshalb so attraktiv scheint, weil eine solche Eindeutigkeit im normalen Leben sonst kaum vorkommt und daher eine Sehnsucht zu geringer Komplexität erzeugt, die im Sport als Fairness zutage tritt. Im Sport geschieht dies über die Verwendung des Körpers als Schema, das zum Zweck der Beobachtbarkeit diesen besonders exponiert. Über die Beobachtbarkeit des Sportlerkörpers codieren sich die Ereignisse entlang der Unterscheidung von Sieg und Niederlage, womit Eindeutigkeit in das System eingeführt wird, die sich nicht mit einem Beobachtungsschema der wirtschaftlichen Konkurrenz vergleichen lässt. Sport macht Entscheidungen beurteilbar und erwartbar. Genau genommen bezieht sich dabei die Erwartbarkeit auf die Entscheidbarkeit und nicht auf die Entscheidung selbst. Es wird erwartet, dass entschieden wird und dass diese Entscheidung nachvollziehbar, idealerweise also vollständig transparent ist. Das ist ein wichtiger Punkt, der die Fairness berührt: Sport ist entscheidungsoffen. Alles andere, so könnte man vermuten, würde den Sport zerstören, weil er damit nicht mehr von anderen Sozialbereichen des alltäglichen Lebens unterscheidbar wäre. Nichtwissen einerseits, Entscheidungsklarheit und Entscheidungsnotwendigkeit andererseits wirken wie ein Attraktor, der die Aufmerksamkeitsbereitschaft stimuliert.
Will man diesen Überlegungen folgen, wird sogleich klar, welche Inkommunikabilitäten durch Dopingskandale und ihnen zugeordnete Debatten erzeugt werden.
Die Systemparadoxie des Sports besteht darin, dass er eine Art Simplexität erfolgreich inszeniert und diese inszenieren muss, und zugleich als System eine beachtliche Komplexität aufweist, die mit anderen sozialen Systemen jeden Vergleich standhält. Das beständige Scheitern von Dopingkontrollen indiziert diese Komplexität aus Verfahrensregelungen, medizinischen und juristischen Implikationen, Zuschaueraufmerksamkeit, Sponsoreninteressen und Verläufe von Sportlerkarrieren. Der ab und zu gemachte Vorschlag, sich ob dieser Komplexität geschlagen zu geben und Doping im Wettkampf zuzulassen, weil damit die Fairness durch Akzeptanz des Nichtzuverhindernden wieder eingeführt wird, kann nicht akzeptbabel sein, weil der sich daran anschließende Komplexitätsaufbau das Zuschauerinteresse überstrapazieren würde. Denn Sport funktioniert nicht, wenn Sportler, Trainer und Fachexperten unter sich blieben, sondern nur, wenn er seinen Inklusionsbereich enorm ausweiten kann, was nur gelingt, solange er seine ganze Komplexität als Simplexität illusionieren kann.