Welchen Sinn macht das Gehirn
von Kusanowsky
Noch immer finden sich ab und zu Gesprächszirkel, in denen verwirrende Diskussion über die Frage nach dem Verhältnis von neuronalen Strukturen und dem Zustandekommen von Gedanken geführt werden. Verwirrend sind solche Diskussion gerade deshalb, da der Aspekt der „Sinnhaltigkeit“ von Gedanken in dieser Diskussion nicht gesehen wird. Deshalb sei hier zum Versuch der Klärung einige Erläuterungen gegeben, die in der Sache vielleicht weiter helfen.
Sinn ist das Medium der psychischen und sozialen Bedeutungsgebung. Alles, was gedacht und kommuniziert wird, liegt in Form von Sinn vor. Das bedeutet, dass es innerhalb der beteiligten psychischen und sozialen Systeme eine aktuelle Bedeutung hat, die aus einer Vielfalt von möglichen Bedeutungen, die in Zukunft ebenfalls aktualisiert werden können, ausgewählt wurde. Das Medium Sinn leistet eine strukturelle Kopplung von Bewußtsein und Kommunikation. Sinn ist Medium insofern, als es Formbildungen in einem System ermöglicht und in Wahrscheinlichkeit transformiert, Formbildungen, die durch das Prozessieren des jeweils anderen Systems ausgelöst wurden. Damit wird die Gesamtmöglichkeiten des Mediums Sinn eingeschränkt.
Was als Medium bezeichnet wird, wird immer nur dort greifbar, wo strukturelle Kopplung in Sinn umschlägt und umgekehrt, wo strukturelle Kopplung Sinn erzeugt, der strukturelle Kopplung ermöglicht. Dabei kann man annehmen, dass diese Kopplung sich zunächst virtuell, dann aber real konkretisierbar externalisiert. Das Medium ist die zunächst virtuelle dritte Position, die Bewußtsein und Kommunikation strukturell koppelt. Will man sich Sinn wie eine Art Fluidum vorstellen, das beide Systemtypen umgibt, so schlägt das Medium jene Wellen, die gleichzeitig, also in demselben Phasenmoment, hier wie dort als Sinn anschlagen.
Medien leisten die strukturelle Kopplung so, dass Sinn aus struktureller Kopplung und aus dieser wiederum Sinn hervorgeht. In diesem Zusammenhang wird dann auch der Begriff der Autopoiesis zur Beschreibung von psychischen und soziale Systemen relevant. Auch Bewußtseinssysteme operieren autopoietisch. Die kleinsten Einheiten in jenen Systemen sind ,Gedanken`. Diese werden ständig aufs Neue reproduziert, da sie, kaum dass sie aufgetaucht sind, auch schon wieder verschwunden sind. Damit das Bewußtseinssystem imstande ist, Gedanken herzustellen, bedarf es organischer Ressourcen. Diese Ressourcen beschafft das System aus seiner neuronalen Umwelt. Das heisst aber nicht, dass das Gehirn an sich Gedanken herstellt; dies macht das Bewußtseinssystem. Jedoch ist das Bewußtseinssystem auf Gehirntätigkeiten angewiesen; diese Beiträge sind Voraussetzung für die Gedankenproduktion. Trotzdem arbeiten Bewußtsein und Gehirn isoliert voneinander und sind füreinander Umwelt. Dieses Abhängigkeitsverhältnis bezeichnet man dann als „strukturelle Kopplung.“
@kusanowsky : Gut, das glaube ich verstanden zu haben, was ja nur besagt: ich habe ES – auf meine Weise – einleuchtend gesehen, es ist ein Bild in mir entstanden, ein Wahrnehmungsbild, eine Gestallt, eine Erkenntnisgestalt.
Wichtig hierzu noch die klar geschnittene Differenz zwischen System Gehirn und System Bewusstsein. Dieser Unterschied muss jedem so deutlich (deutbar, ausdeutbar) sein, wie der Unterschied zwischen Bewusstsein als System und Kommunikation als System. Beide wesentlichen Differenzen werden funktional – vollkommen selbstständig, selbsttätig, eben autopoietisch – überbrückt durch den sinnvollen Gedanken der strukturellen Kopplung.
Das Gehirn sehe ich als die Vereinigungsinstanz der körpereigenen Wahrnehmungsreptoren: der fünf Sinne Sehen, Hören, riechen, Schmecken und Tasten. Die Signale von diesen Rezeptoren werden (nach mehreren Verwandlungen: analog, digital, analog) im Gehirn, im System UND Netz der Synapsen, zu einem sinnvollen, zu einem sinngebenden Bild als Weltgestalt vereinigt durch Selbsterzeugung. Dieses Innenbild wird dem Bewusstsein übergeben, das daraus durch Externalsierung ein (vermeintliches) Bild der Aussenwelt erzeugt. Das strukturell gekoppelte Synapsensystem zusammen mit dem ebenso strukturell gekoppelten Bewusstseinssystem lassen emergent das bewusste Bild einer vollkommen idiosynkratischen Welt entstehen: im Bewusstsein als eine Wahrnehmungs- und Vorstellungswelt. Die Einheit beider Differenzen ist jeweils schon Sinn = Kopplungssinn.
Kleinste operative Einheiten des Systems Gehirn sind das jeweilige Feuern der Sysnapsen in verschiedenen, wechselnden, sinnerzeugenden weil interpretierbaren Feuerungsverbänden in den unterschiedlichsten Gehirnarealen. Kleinste operative Einheiten des Systems Bewusstsein sind die inneren und äusseren Warnehmungen des Systems Bewusstsein.
Das solcherart im Bewusstsein sich dynamisch ausbildende Gesamtbild als Bild einer externalisierten Welt wabert und loht – wie die Flamme eines unruhigen Feuers – auf eine Weise, die geradezu sprachförmig ist. Das geregelte System Sprache ist aber kein eigenständiges System, es ist nur ein Vermittler, ein Medium: Die Sprache hat regelhaft geregelte eigenständige Strukturen, die aber in sich, also intrinsich, so variabel und situationsmodellierend sind, dass mensch das Gesamtverhalten dieser medialen Kopplungsmaschine namens Sprache als ungeregelt geregelte Regelmaschine linguistisch beschreiben kann.
Dieses im Bewusstsein sprachförmig versuchsweise erzeugte Weltbild ist dann operativer Teil eines sinnhaltigen Gesamtgeräusches, einer Noisewelt, die niemals stillsteht und wie ein Fluss alles an seinen Gesellschaftsufern fruchtbar überflutet wie in Ägypten der Nil das anrainernde Land, das er dann zum Blühen bringt. So blüht dann in den Interaktionen der jeweilige Teilsinn der sich ausbildenden Kommunikation auf, der in den Organisationen entscheidungshaft und entscheidungsvehaftet operiert und sich weiterhangelt, und dieser Noise wird in den Funktionssystemen zu einer jeweils funktionssystemtypischen kommunikativen Handlungswelt: sinnvoll durch spezifische Codes generalisiert und spezifisch funktional operabel gemacht. Auf diese Weise kommuniziert dann die Kommunikation. Die Einheit der Differenz zwischen Bewusstseinssystem und Kommunikationssystem ist die im Sprachhumus wurzelnde Sinnpflanze als ein gesellschaftlich gemeinsames und doch individuell unterschiedliches, aber funktionell brauchbares Weltbild als akzeptiertes, zeitgeistabhängiges Bild der Welt.
Jetzt höre ich lieber auf, sonst geht es mir mit meiner rational angesteuerten Vernünftigkeit (dem Vernünfteln) wie weiland den auf ihre „natürliche“ Rationalität vertrauenden Romantikern, die in ihrer Vernunfthybris die Rationalität der Vernunft dermaßen überzogen, dass die tradierte Überlieferung der literarisch argumentierenden Kommunikation der Gesellschschaft innerhalb dieser schriftfixierten Gesellschaft heute diese armen Romentiker als irrational, also als romantisch, empfindet und auch so apostrophiert.
Rudi K. Sander alias dieterbohrer aka @rudolfanders aus Bad Schwalbach, auch zu finden unter http://supersozius.wordpress.com