Das Ich, Ort der Einsamkeit
von Kusanowsky
Facebook und Co. berauben uns angeblich der Selbstreflexion und lassen uns vergessen, was wahre Freundschaft bedeutet, sagte der amerikanische Kulturkritiker William Deresiewicz der Süddeutschen Zeitung im Interview. William Deresiewicz lehrte von 1998 bis 2008 Literaturwissenschaft an der Universität Yale. Im vergangenen Jahr veröffentlichte er im Chronicle of Higher Education zwei vielbeachtete Essays. „The End of Solitude“ beschäftigt sich damit, wie das Echtzeit-Internet uns der Selbstreflexion beraubt. In „Faux Friendship“ vertritt Deresiewicz die These, dass soziale Netzwerke unsere Freundschaftserfahrungen negativ beeinflussen.
Dazu ausführlicher: Süddeutsche Zeitung
Hier taucht es auf, das alte, uns bekannte Subjekt/Objekt-Beobachtungsschema. Die Trivialisierungsformen einer transzendentalen Subjektphilosphie sind schon längst wieder an ihren ideengeschichtlichen Ausgangspunkt zurück gekehrt. An akademischen Lehrstühlen wird inzwischen auch geglaubt, was sich in den Formbildungsprozessen der Popkultur im technischen Zeitalter seit dem Erfolg dieser Subjektphilosophie bemerkbar machte: wahre Freundschaft, wirkliches Glück, Qualität und authentisches Menschsein gibt es nur in der Beziehung face-to-face. Oder kennt jemand einen Popsong, einen Werbespot, in dem das nicht thematisiert wird? Dabei handelt es sich um Formbildungen, die durch die moderne Technik möglich wurden, welche aber selbst in ihren Produkten nicht thematisiert wird.
Die dazwischen geschalteten technischen Regelwerke, die Abwesende mit Abwesenden zusammenführen, schon durch den Briefwechsel präformiert, ausdifferenziert mit dem Telegraphen, dem Telefon und komplex gesteigert durch Kino, Radio, Fernsehen und schließlich durch das Internet, entfremdeten den Menschen angeblich von sich selbst; geglaubt werden kann dies gerade durch die Invisibilisierung dessen, wodurch das glaubhaft gemacht werden kann: die Technik. Diese Dispositive degradierten den Menschen schon immer nur zum Voyeur, zum Maschinenbediener, schließlich zum User. Und es darf gelacht werden: dass das Räsonnieren über solchen Niedergang ausgerechnet durch das Internet Verbreitung findet, auf der Seite der Süddeutschen Zeitung unter der Rubrik: digital und in der Folge durch Linkverbreitung bei Facebook und Co.
Aber etwas Besonnenheit wäre angebracht. Selbstreferenziell geschlossene Systeme haben keine Zentrale, keinen Mittelpunkt, keinen Ort, von dem ausgehend man sagen könnte, wo die Grenze zum Nicht-Ich verläuft. Neurobiologen arbeiten daran, dasselbe auch für neuronale Systeme zu erklären: kein Ich gibt es dort, nirgendwo. Das ändert aber nichts daran, dass die damit angesprochene Relevanz von Identität, Freiheit und Notwendigkeit gegenstandslos wären. Tatsächlich wird man erst dann das Problem des Menschseins überhaupt erst verstehen lernen können, wenn man sich aller überflüssigen Illusionen entledigt hat. Das „Ich“ ist aber nicht verschwunden, so wenig wie ein Gott verschwunden ist, seitdem man nicht mehr an ihn glauben möchte. Es bleibt alles im Gespräch. Und wer kann mit Bestimmtheit sagen, dass nicht erst die Erfahrung des Ich als Illusion und Ort der Einsamkeit eine befreiende und zugleich zivilisierende Wirkung entfaltet?
Sicher ist der Deresiewicz-Beitrag zu konservativ-einseitig. Er kommt u.U. aus der Ecke derer, die an technisch-kommunikativen Innovationen nicht partipizieren und die dann negativ bewerten.
Ich denke aber, dass die Deresiewicz-Kritik nicht ganz falsch ist. Natürlich fehlt beiden Seiten das Instrumentarium zu erkennen, ab wann menschliche Kommunikation face-to-face Sinn macht und ab wann sie durch andere kommunikative Formen ersetzt werden kann. Tatsächlich ist die Informationsfülle bei der face-to-face-Kommunikation erheblich größer z.B. im Verhältnis zur Briefform oder selbst auch zur Videokonferenz, weil Gestik, Mimik, Original-Stimmlage usw. die Deutung des Gesagten stark beeinflußen. Es ist alt bekannt, dass Uneigentlichkeiten wie Zynismus, Sarkasmus oder generell humorvolle Aussagen im Schriftlichen zu Mißdeutungen führen können, wohl aber in traditionellen kommunikativen Situationen einfach zu verstehen sind.
Mir scheint die Diskussion auf ein Patt herauszulaufen. Das Faktum, dass eine Erkenntnis nicht gewonnen werden kann, führt nicht zwangsläufig dazu, dass die Gegenseite (Deresiewicz) Unrecht hat.
Es geht bei Überlegungen dieser Art wohl weniger um die Frage, wer Recht hat oder ob etwas falsch gesehen oder beurteilt wurde. Es gibt keine falsche soziale Realität. Der entscheidende Punkt ist der, dass geringschätzige Beurteilungen über sozialevolutive Prozesse ausgerechnet über solche Kanäle verbreitet werden, über die geringschätzend geurteilt wird. Die Mitteilung „Internet als Ort der Einsamkeit“ bezieht ihre Information daraus, dass die über das Internet Verbreitung findet. Wenn das Internet die soziale Realität erzeugt, die in die Einsamkeit führt, so gilt dies auch für Anschlussfindungen wie die von Deresiewicz, die an dem angeblich beklagenwerten Prozess nichts ändern, weil sie ihre Anschlussmöglichkeit selbst über das Internet finden. Das bekannte Schlagwort von McLuhan „das Medium ist die Botschaftet“ verliert in dem Augenblick seine kommunikative, ja vielleicht magisch-attraktive Relevanz, sobald das Medium Selbstreferenzialität nicht nur thematisiert, sondern diese operativ handhabt. Wird aber das Medium selbst thematisiert, invisibilisiert es das, wodurch es sich kommunikativ erhärtet, nämlich das Medium als Medium der Selbstreferenz.
Man könnte durchaus annehmen, dass sich die tradionelle Vorstellung vom „Ich“ und damit auch die bekannte Relation zwischen „Du und Ich“ entscheidend ändert. So könnte man sagen, dass das Internet der Ort ist, wo das Ich verschwindet. Aber würde damit nicht auch zugleich die Vorstellung vom „Internet als Ort“ verschwinden? Wo befindet es sich?
[…] wieder etwas widerfährt, für das dasselbe gilt. Es geht dabei nicht darum, dass das Subjekt seine Einsamkeit entdeckt, sondern durch den Ausschluss der Annahme, dass all diese Überlegungen sozial determiert […]