Beobachtung der Selbstbeobachtung der Wissenschaft

von Kusanowsky

Doch trotz aller Nähe zur Wissenschaftlichkeit einer solchen Analyse bleiben auch Vorbehalte, die insbesondere die Beobachtbarkeit der Wissenschaft betrifft, weil die operative Geschlossenheit des Wissenschaftssystems und die Theorieposition des Beobachters zweiter Ordnung nicht in jedem Fall weiter hilft. Folgt der wissenschaftliche Theoretiker der Anweisung, eine Beobachtungsposition zweiter Ordnung einzunehmen und entsprechend Gesellschaft und ihre Subsysteme bei deren Selbstbeobachtung zu beobachten, konfrontiert er sich unweigerlich mit der Autopoiesis des Systems. Da sich autopoietische Systeme im Zuge ihrer Selbstbeobachtung konstituieren, vollzieht der soziologische Beobachter zweiter Ordnung dann zwar diese selbstkonstitutiven Prozesse nach und der Gegenstand soziologischer Beobachtung würde sich selbstreferenziell erzeugen und würde nicht erst durch eine Theorie generiert, welche die zu gewinnenden Ergebnisse im Voraus liefert. Diese Position schafft zunächst eine Art erkenntnishteoretischer Distanz im traditionellen Sinne und leuchtet unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten zunächst auch ein, sofern man überhaupt bereit ist, die Grundlagen einer sozialen Kybernetik zu akzeptieren. Die daraus resultierende Idee, die Selbstbeobachtungen des Wissenschaftssystems aus einer Perspektive zweiter Ordnung zu beobachten, stellt jeden Beobachter aber vor ein praktisches und zugleich logisches Problem: Um die Selbstbeobachtungen und Selbstbeschreibungen des Wissenschaftssystems zu beobachten, müssen diese auch vom Beobachter zweiter Ordnung zunächst als solche identifiziert werden! Dies mag relativ problemlos möglich sein im Hinblick auf solche Selbstbeschreibungen, die Ansprüchen an „Reflexionstheorien“ des Wissenschaftssystems genügen, also im Hinblick auf die explizit theorieförmigen Thematisierungen, der Einheit des Systems im System, bzw. der Theorie in der Theorie, was auch begriffliche Klarheit und Konsistenz einschließt. Die erwartbaren wissenschaftlichen Anschlussmöglichkeiten werden sich dagegen in der Regel nicht explizit semantisch als solche ausweisen wollen und müssen. Für die Ausarbeitung von Reflexiosntheorien bedeutet das ein hoches Maß an Kontingenz, da sie weder eine nur wissenschaftliche Vergangenheit noch eine nur wissenschaftliche Zukunft haben. Und eine an Institutionen oder Organisationen sich festmachende Analyse bleibt in dieser Hinsicht unbefriedigend. Die in der Regel implizit gewählte Herangehensweise, die besagt, dass das, was an Forschung in der Wissenschaft stattfindet, automatisch unter Wissenschaft zu subsummieren ist um darin den Standard von Wissenschaftlichkeit festzumachen, erscheint letztlich im Kontext einer Theorie von Wissenschaft als Kommunikationssystem theoretisch höchst unzureichend – oder zumindest als übermäßige Vereinfachung hoch komplexer und kontingenter Zusammenhänge. Wissenschaftskommunikation findet außerdem nicht grundsätzlich in einer Organisation statt: Funktionssysteme lassen sich nicht als Organisation oder als aus Organisationen bestehend vollständig beschreiben. Eine grobe Zuordnung von bestimmten Organisationen zu spezifischen Funktionskontexten stellt eine rein intuitive und pragmatische Betrachtungsweise dar, die ohnehin durch das Zitieren von Gegenbeispielen leicht zu Fall zu bringen ist: beispielsweise findet an Universitäten nicht nur Wissenschaft statt, und andersherum: nicht nur in der universitären Wissenschaft wird Wissen produziert.

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