Über das akademische Bluffen

Die Blog-Texte können in jedem Kontext verwendet werden. Natürlich unter der Maßgabe der korrekten Zitation.

Diese Mitteilung findet sich im Blog von Peter Fuchs, einem allseits  – und auch von mir – sehr geschätzten Soziologen, der neben seinem Engagement für die Formulierung einer Systemtheorie eine besondere Eigenschaft mit bringt, wohl nämlich die, den Vermeidungsstrukturen der universitären Wissenschaftsorganisation mit etwas Skepsis zu begegnen; und, sollte ich mich darin irrren, jedenfalls durch die regelmäßige Führung eines Internetblogs zeigt, dass die beinahe besinnungslose Verlängerung von Publikationslisten nicht mehr das einzige Mittel der Formulierung von Wissenschaft sein kann, schon allein aufgrund der damit verbunden Intransparenz, die es beinahe unmöglich macht, die Verhaltensmuster des akademischen Bluffens und der damit verbundenen Angeberei zu durchschauen.
Denn das Prinzip „publish or perish“ löst die Intransparenz nicht auf, sondern verhilft ihr nur zu einer reflexiven Selbstlegitmierung und anschließenden Steigerung. Die sich daran knüpfende Maxime lautet: verlängere auf Teufel komm raus die Liste deiner Publikationen und verbreite gleichzeitig die Behauptung, dass es auf Qualität und nicht auf Quanität ankäme, weil du dich darauf verlassen kannst, dass die Menge deiner Publikationen ohnehin keiner lesen kann; und je mehr du schreibst, um so wahrscheinlicher bestätigt sich diese Vermutung. Da alle anderen genauso handeln und du selbst genauso wenig eine Chance hast, die Publikationen aller anderen zu lesen, kann es dir vortrefflich gelingen, einen Kenntnisreichtum zu simulieren, indem du dich auf wenige Zitate beschränkst, welche du obendrein leicht durch ein Zettelkastenprogramm organisieren und verfügbar machen kannst. So kannst du erstens deine Unkenntnis verschleiern und zweitens alle anderen der selben Unkenntnis verdächtigen, ohne allerdings darüber Klarheit zu gewinnen, weil alle anderen an der Verlängerung der Intransparenz genauso mitwirken wie du selbst.

So kommt es in der Wissenschaft dann nicht mehr auf Wissen oder Nichtwissen an, denn beides ist das Produkt von sozialer Wissensproduktion, die nicht allein in der Wissenschaft statt finden kann, sondern darauf, in der Wissenschaft zitiert und wahrgenommen zu werden, was sich in Zitationsnachweisen niederschlägt, welche ihrerseits zur Kenntnis gebracht werden müssen, was so einfach nicht mehr ist. Gelingt dies im unwahrscheinlichen Fall dennoch, so ist Wissenschaft das, was zitiert und bürokratisch abgestempelt, nicht was gelesen, studiert, durchgearbeitet, verstanden wurde, sondern das, was diese Bedingungen der Steigerung von Unwahrscheinlichkeit überwindet. So sind es schon lange nicht mehr die ausgesuchten Köpfe eines herausragenden Geistes, die mit dem Privileg einer einer lebenslangen Alimentierung versehen werden, während aller andere sich um die wenigen Brosamen prügeln, die am Hof eines feudalen „Sonnen-Professors“ von der Tafel fallen, sondern nur wahrscheinliche Personen mit einem durchschnittlichen Intellekt, die sich allerdings immer noch einer stabilen Rechtfertigungsstrategie bedienen können, welche besagt, dass es nur die tüchtigsten, die klügsten, die verantworungsvollsten Leute sind, die diesen „concours“ durchlaufen.

So bleiben Erwartungen übrig, die es aussichtsreich erscheinen lassen, an diesem genauso intransparten Geschehen wie unwahrscheinlichem Gelingen festzuhalten, allen Erfahrungen zum Trotz. Das nenne ich Scholastik, und sobald sie sich zu ihrer Durchsetzung auch noch anderer Machtmittel bedient: Ideologie. Erfahrung spielt da nur eine untergeordnete Rolle, soviel auch immer diese Wissenschaft auf Erfahrung setzen will. Denn Erfahrung ermöglich nicht nur Abweichung von Gewissheiten, sondern auch von Ungewissheiten, Abweichung von Gewohntem genauso wie Abweichung von Ungewohntem. Erfahrung ist das, was sich als Kontingenz bemerkbar macht, welche deshalb nicht nur sehr unwahrscheinliche, sondern nicht selten auch sehr fragwürdige Ergebnisse zeitigen kann. Erfahrung ist immer etwas sehr Unvorhersehbares, etwas, dass für organisierte Regelwerke (und die moderne Wissenschaft ist gewiss das, was man ein organisiertes Regelwerk nennen könnte) höchst anrüchig ist, weil man Erfahrung mit diesen Methoden dieser Art von Wissenschaft nicht beweisen, sondern nur durchsetzen kann. Wissenschaft ist, was durchgesetzt wurde, nicht was sich als Erfahrung niederschlägt. Erfahrung lässt keine Entscheidung zu. Erfahrung ist nicht organisierbar. Was sich nicht durchsetzt, kann zwar gewusst, von dieser Art der Wissenschaft aber nicht anschlussfähig gemacht werden.

So kommt man zu der Vermutung, dass diese Art von Wissenschaft ihre unvorhesehbaren Ergebnisse nicht überdauern wird. Sie produziert Reichtum, Komplexität, Überschuss, aber die damit verbundenen reichhaltigen Möglichkeiten des Erkennes, Wissens, Verstehens, Fertigkeiten können von ihr, aufgrund ihrer Strukturen nicht aufgefangen werden, sondern bleiben vorerst gebunden in einem akademischen Prekaritat, das sich um Vernetzung bemühen muss, weil die Günstlingswirtschaft eines Professorenhofes nur sehr wenige Keimzellen zu einander führt.

Wie sehr diese Dingen ins Wanken kommen können, zeigt das Eingangszitat. Man bemerke den Selbstwiderspruch, der im Zitationsvorbehalt eingeschlossen ist: Zitieren in anderen Kontexten darf erlaubt sein, aber bitte korrekt!  Also ob es keine Kontexte gäbe, die auf korrektes Zitieren verzichten müssten. Denn dass in der Wissenschaft nur korrekt zitiert würde, ist eine Lächerlichkeit. Wissenschaft ist der Kontext, indem falsches Zitieren vorkommen muss, damit etwas anderes Gewusst werden kann. Diesen Vorbehalt aber ungeniert zu äußern zeigt zweierlei. Erstens das, was noch nicht gelernt wurde, weil diese Wissenschaft als organisiertes Regelwerk eine Vielzahl von Verboten auspricht, ohne sie selbst einhalten zu können; und zweitens das, was fürderhin zu lernen wäre, dass man nämlich auf solche Verbote auch verzichten kann und dass nur aufgrund dieses Verzichts ein Wissensfortschritt noch möglich ist.

Und ob dies gelernt wurde, kann man nur in Erfahrung bringen, oder auch nicht, was auch heißen mag, dass sich brauchbare Lernerfolge als höchst unwissenschaftlich erweisen können. Aber wer weiß schon so genau, wie lange diese Art von Wissenschaft noch durchhalte- und durchsetzungsfähig ist, wenn die Wissenschaftler bald damit anfangen werden, sich auch an Internetkommunikation zu beteiligen, welche nicht zulässt, dass Verbote, Vorbehalte oder Vermeidungsappelle überzeugungsfähig sind. Man müsste stattdessen wieder mit dem Argumentieren anfangen, was für Scholastiker nicht so einfach ist (wie übrigens für alle anderen auch.)